Die geringen Erzeugerpreise machen den Milchbauern zu schaffen.

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Wien – Der "Milchdialog" im Parlament soll am Dienstag Maßnahmen gegen den dramatischen Milchpreisverfall liefern. Es gehe einerseits um "kurzfristige Unterstützung" für die Bauern, andererseits um "mittel- und langfristige Zukunftsperspektiven", sagte Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) vor Beginn des Teffens.

Den Bauernbund-Vorschlag, den Bauern die Sozialversicherungsbeiträge für ein Quartal zu erlassen, bezeichnet Rupprechter als "sehr guten Vorschlag". Auf EU-Ebene wünscht er sich einen Lieferverzicht, um die Überproduktion zu senken. Langfristig seien die Marktaussichten für die Milchbauern in Europa und international aber "nicht schlecht".

Produktionsbeschränkung 2015 aufgehoben

Die heimischen Bauern haben beim Milchpreis in den vergangenen Jahren eine Berg- und Talfahrt erlebt. Vor der ersten Milchkrise erhielt ein Landwirt im Jahr 2008 noch einen Rekordpreis von 40 Cent pro Kilogramm für konventionell erzeugte Milch, dann stürzte der Preis aber bis Juli 2009 auf 25 Cent ab, ehe er sich bis zum Jahr 2014 wieder auf 40 Cent erholte. Dann setzte der Milchpreis wieder zum Sinkflug an.

Das aktuelle Preistief in Österreich und Europa liegt am Überangebot an Milch im Gefolge der Liberalisierung des EU-Milchmarkts – Anfang April 2015 wurden die Milchproduktionsquoten abgeschafft – und am Russland-Embargo. Die schwächelnde Nachfrage in China drückt zusätzlich den Weltmarktpreis. Im April erhielten die heimischen Milchbauern von den Molkereien im Schnitt nur noch 28 Cent für konventionell erzeugte Milch, für Bio-Heumilch mit 47 Cent deutlich mehr. In einigen Ländern, etwa Deutschland und Spanien, liegt der Bauern-Milchpreis bereits teilweise unter 20 Cent.

Im April 2015 hatte die EU die Produktionsbeschränkungen für Milch aufgehoben. Seither liefern die Bauern deutlich mehr Milch an die Molkereien.

"Bauernsterben"

Der EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 hat den Strukturwandel in der österreichischen Milchwirtschaft beschleunigt. Vor dem Beitritt lieferte der durchschnittliche Bauer jährlich 26.000 Kilogramm Milch, heute sind es mehr als 86.000 Kilogramm. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Milchbauern von 86.000 auf 31.000 gesunken.

Viele Nebenerwerbsbauern hörten mit der Milchproduktion auf. Im Vergleich zu "Gunstlagen" in Norddeutschland, Holland, Irland und Dänemark haben die österreichischen Milchbauern – vor allem Bergbauern – deutlich höhere Betriebskosten. Die gentechnikfreie Fütterung – in anderen EU-Ländern nicht Standard – erhöht zusätzlich die Kosten für die Bauern.

Experte relativiert

Der heimische Wirtschaftshistoriker Felix Butschek sieht die Auswirkungen des EU-Beitritts auf den heimischen Agrarsektor aber nicht negativ: "Im Vergleich mit anderen Ländern ähnlicher Größe gewinnt man sogar den Eindruck, dass sich die österreichische Landwirtschaft relativ günstig entwickelte: Die Abwanderung vollzog sich langsamer und die Einkommensentwicklung günstiger als in Finnland, Schweden und der Schweiz", schreibt Butschek in seinem Standardwerk "Österreichische Wirtschaftsgeschichte".

Das Agrar-Handelsvolumen habe nach dem EU-Beitritt deutlich zugenommen, und die Exporte seien stärker gestiegen als die Importe. Auch die befürchteten Nachteile für den heimischen Agrarsektor durch die EU-Osterweiterung sind laut Butschek ausgeblieben, gerade auf diesen Absatzmärkten reüssierte die österreichische Landwirtschaft mit ihren Produkten.

Bauernbund will Erlass von SV-Beiträgen

Für Bauernbund-Chef Jakob Auer jedenfalls würden eine Stundung der Agrarinvestitionskredite, ein kurzfristiger Erlass der Sozialversicherungsbeiträge und Maßnahmen bei Milch-Transportzuschüssen die Lage der Milchbauern verbessern. Um eine Überproduktion zu verhindern, sollten die Molkereien mit den Milchbauern eine "Mengenregulierung" vereinbaren,. Von dem Gipfel am Dienstag erhofft sich Auer eine "Strategie für einen besseren Milchpreis".

Der grüne Landwirtschaftssprecher Wolfgang Pirklhuber forderte vor Beginn des Treffens ein Bonus-Malus-System, um jene Milchbauern zu belohnen, die freiwillig weniger erzeugen. Betriebe mit "Turbokühen" müssten hingegen Strafzahlungen leisten. Den vorübergehenden Erlass der Sozialversicherungsbeiträge nennt Pirklhuber eine "Notnotmaßnahme" und "Almosen". Es sei "keine Lösung des Milchmarktdilemmas" und "Ausdruck einer schlechten Agrarpolitik". (APA, 14.6.2016)