Wien – ÖVP-regierte Bundesländer preschen vor: Oberösterreich will am Donnerstag eine Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte beschließen, Niederösterreich fordert eine generelle Begrenzung auf 1.500 Euro im Monat. Notfalls, drohte Landeshauptmann Erwin Pröll im "Kurier", werde sein Land diese Deckelung in Eigenregie durchsetzen.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat mit den angekündigten Alleingängen keine Freude. "Es kann kein Ziel sein, dass das System der Mindestsicherung zerfällt", sagt der Regierungschef, denn sonst gebe es "Anreize" für Bürger, sich das Bundesland nach den günstigsten Sozialleistungen auszusuchen. Es brauche deshalb eine bundesweit einheitliche Lösung, fordert Kern.

Doch wie kann diese aussehen? Der Auftritt der beiden Regierungsspitzen nach dem Ministerrat am Dienstag ließ für einen Kompromiss wenig Raum offen. In der entscheidenden Frage prallten die Meinungen Kerns und seines ÖVP-Gegenübers Reinhold Mitterlehner aufeinander.

50.000 betroffene Kinder

Die Bundes-ÖVP sei ganz auf Linie der niederösterreichischen Parteifreunde, sagte Mitterlehner. Weil zwischen Erwerbseinkommen und Transferleistungen "die richtige Balance" fehle, brauche es die Deckelung bei 1.500 Euro. Der Verdacht hinter der Forderung: Weil die Sozialleistung zu hoch sei, hätten manche Menschen keine Lust, selbst Geld zu verdienen.

Um die Motivation zum Arbeiten zu steigern, sollten besser die Zumutbarkeitsregeln verschärft werden, erwiderte Kern – denn auch die SPÖ habe kein Verständnis für jene, "die sich in die soziale Hängematte flüchten". Von der geforderten Obergrenze hält er hingegen nichts. "Die Betroffenen wären 50.000 Kinder in ganz Österreich," rechnete Kern vor und spielte darauf an, dass die Ersparnis im Gegenzug relativ gering wäre: Die Kosten der Mindestsicherung machten lediglich 0,7 Prozent des Sozialbudgets aus, rund 75 Prozent der Bezieher seien ohnehin so genannte Aufstocker, die nur einen Teil der Leistung zusätzlich zu einem anderen, niedrigen Einkommen beziehen.

Irritierender Kostenanstieg

Mitterlehner konterte prompt. "Ich kann nicht im Raum stehen lassen, dass die Deckelung unsozial sei", hielt er entgegen, denn schließlich bleibe die Familienbeihilfe ja erhalten. Und zu den Kosten: Es sei die "Dynamik des Anstieges", die ihn irritiere.

Sozialminister Alois Stöger ist naturgemäß auf Linie seines Genossen Kern: Man solle nicht "kleinkariert" Kosten nachrechnen, denn kurzsichtige Kürzungen würden nachträglich umso höhere Ausgaben verursachen, um Obdachlosigkeit und andere sozialen Probleme zu beheben. Am Freitag wird der Ressortchef zu einer nächsten Verhandlungsrunde mit den Sozialreferenten der Länder antreten, um einen Kompromiss in Form einer neuen "15a-Vereinbarung" zwischen Bund und Ländern zu finden – trotz aller Widersprüche strebt Stöger eine Einigung noch vor dem Sommer an. Ausgeschlossen scheint, dass die Streitfrage Deckelung ausgeklammert und den Ländern zur freien Entscheidung überlassen wird. Mitterlehner: Ohne Klärung werde die ÖVP keiner Vereinbarung zustimmen. (Gerald John, 15.6.2016)