Blue Mustard heißt das neue Restaurant eines aus Syrien gebürtigen Armeniers, von einem Designer aus Dubai "wienerisch" gestaltet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

"From Vienna to Napoli": die explosiv aromatischen Paradeiser der Gärtnerei Bach etwa werden mit Burrata-Creme kombiniert. Dazu kommt in einem Extratiegel Gazpacho mit Artischocke.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Früher war neben dem Café Hawelka das Revuelokal Casanova, dann die Filiale einer mäßig attraktiven Espressokette. Seit vergangener Woche kann man hier vor Nachbildungen der Fensterbögen des Stephansdoms verspielte Cocktailkreationen ordern. Klingt seltsam, ist es auch. Was das Lokal des aus Syrien gebürtigen armenischen Geschäftsmanns und Neowieners Vahe Hovaguimian zu einer der Neueröffnungen des Jahres macht, ist die Küche. Im Blue Mustard wird weltläufig und inspiriert gekocht, wie man sich das in Zeiten des zusehends in die Beliebigkeit abgleitenden Regionaldiktats kaum noch zu erhoffen gewagt hätte.

Das ist Alexander Mayer geschuldet, einem für seine Arbeit im Vincent von Michelin besternten Koch. Der Mann hat immer schon konsequent über den Tellerrand geschaut und verfügt über die Klasse, Inspirationen aus anderen Weltgegenden so auf den Teller zu holen, dass sie nicht nur hübsch exotisch klingen, sondern auch verdammt gut schmecken. Im Blue Mustard ist das explizit seine Aufgabenstellung. Die Speisekarte wird in vier attraktiv kalkulierte Menüs gegliedert, aus denen alles auch einzeln geordert werden kann, dazu gibt es die (vielleicht lohnendste) Möglichkeit, Mayer freie Hand für ein "Carte blanche"-Menü zu lassen.

"From Paris to Tokyo"

Jede Speisenfolge spannt einen Bogen um die Welt. "From Paris to Tokyo" etwa beginnt mit einer gewagten Kombination aus roh mariniertem Thunfisch mit frischen Nori-Algen, Ponzu-Creme, in Reisessig marinierten Radieschen und einer Terrine, die Miso, Malzbiergelee und Schweineschmalz zu einer Komposition von gewaltiger Geilheit zusammenführt. Filet vom bretonischen Steinbutt, aus einem kapitalen Exemplar geschnitten, wird mit Creme aus schwarzem Reis, einer mit Galgant aufgeladenen Beurre blanc, Spargel, mit Erdnusscreme lackierter Melanzani und einem Kalbskopftascherl kombiniert, das in seiner vor Saft strotzenden Würzkraft geradezu schockierend wirkt – da macht jedes Element für sich genommen Freude, alles zusammen aber ist schlicht atemberaubend.

Schoko-Paradeiser

"From Vienna to Napoli" ist nur nominell weniger exotisch, die explosiv aromatischen Paradeiser der Gärtnerei Bach etwa werden mit Burrata-Creme, einer (zu stark) gelierten Essenz aus Ananas-Paradeisern, herb-scharfer Tagetes, Basilikum und weißer Schokolade mit Pfeffer kombiniert, was sich am Gaumen als ebenso erstaunliche wie logische Kombination entpuppt. Dazu kommt – siehe Bild – in einem Extratiegel Gazpacho mit Artischocke, die in ihrer Ausgewogenheit aus Süße und Säure, Frucht und Frische wie eine Essenz aus allem wirkt, was uns in diesem Sommer köstliche Hitzelinderung verspricht.

"From New York to Yucatan" hat zu Beginn eine nuancierte Variation von Bacon & Eggs zu bieten, die keineswegs frühstücksmäßig wirkt und auch einen Klacks fruchtig-scharfen "Blue Mustard" mit auf den Teller bringt. Vor allem aber zeigt Mayer hier mit Pozole vom bretonischen Hummer, wie tief er in der mexikanischen Würztradition zu schürfen versteht: Die schillernd exotische, fruchtig scharfe Suppe aus weißem Pozole-Mais und Guajillo-Chili, der ideal festfleischige (nicht etwa gummige!) Hummer, die Tortilla-Roulade mit Hummerfarce – all das zeugt von intimem Wissen um ferne Küchentraditionen – aber in der Sprache der Haute Cuisine.

Was neben dem hotelmäßig entrückt wirkenden Service noch etwas nachgeschärft gehört, ist die Weinkarte: Die scheint nicht nur wenig freundlich kalkuliert, sie versammelt mit wenigen Ausnahmen genau jene Art neuweltlich durchdesignter Fruchtbomben, die uns schon zu ihrer Hochzeit vor 20 Jahren nicht schmecken wollten. (Severin Corti, RONDO, 17.6.2016)