
Nicht erst seit Köln: In der Debatte um Gewalt gegen Frauen wird vieles vermischt.
"In der Debatte wird viel vermischt", sagte Nationalratsabgeordnete Sigi Maurer in ihrer Begrüßung zur Veranstaltung "Geschlechterverhältnisse und Einwanderungsgesellschaft #1" der Grünen Bildungswerkstatt Wien. "Es gibt ein Unbehagen in der Diskussion, aber die Probleme gehen nicht weg, wenn man nicht über sie spricht. Es ist eine Gratwanderung." So weit, so wahr.
Wie schwierig es ist, in der Debatte nicht alles zu vermischen, zeigte die darauf folgende Podiumsdiskussion. Sie scheiterte an der selbst formulierten Aufgabenstellung, indem sie die Themen "Politik der Angst", mediale Berichterstattung, Bildpolitik, Alltagssexismus, Selbstverteidigung, Gewalt und Feminismus im Allgemeinen und im Besonderen munter durcheinanderwarf.
Subjektives Sicherheitsgefühl
Die Journalistin Nour Khelifi wies auf die Bedeutung des sorgfältigen Umgangs mit Sprache nach den Ereignissen von Köln in der medialen Berichterstattung hin. Die Politikwissenschafterin Leila Hadj Abdou, sie arbeitet mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, warnte vor einer "Politik der Angst": "Diese Bilder vom schwarzen Mann, der die weiße Frau bedroht, die da gezeichnet werden, verängstigen, wenn man sich nicht die Zeit nimmt, darüber nachzudenken."
Heidi Pichler vom Verein Peregrina, einer der ersten Wiener Beratungsstellen beziehungsweise selbstorganisierten Betreuungsorganisationen für Migrantinnen, bestätigte dies. Ihre Selbstverteidigungskurse unter dem Titel "Drehungen" für Mädchen und Frauen seien seit Jänner 2016 ausgebucht. Dabei, so betonte Pichler, "war der öffentliche Raum immer schon geschlechterhierarchisch organisiert". Subjektives Sicherheitsgefühl und objektive Sicherheitslage sind zwei Paar Schuhe – nicht erst seit Köln. Gewalt gegen Frauen müsse von der Flüchtlingsfrage getrennt debattiert werden können.
Bewusst konstruierte Feindbilder
Ein berechtigter Wunsch, dem der Sozialwissenschafter und Geschlechterforscher Paul Scheibelhofer leider wenig Chancen einräumt. Die Chance, sexualisierte Gewalt jetzt abseits von Rassismen zu thematisieren, sehe er kaum. In aller Klarheit formulierte es Heidi Pichler: "Ein Feindbild wird bewusst konstruiert, um den Sexualitätsdiskurs für Rassismus zu verwenden." Siehe jene Politiker, die sich erst gegen den "Grapschparagrafen" ausgesprochen hätten, um sich nun zu den Rettern der Frauen aufschwingen zu wollen. Der Maßstab für die Entwicklung einer Kultur werde immer an der "Frauenfrage" gemessen – eine Art "Kulturfundamentalismus".
"Gewalt von Männern in Gruppen ist nichts Neues", so Scheibelhofer. Er sprach in diesem Zusammenhang von der "geselligen Gewalt" zum Beispiel der Hooligans gegen die Polizei, sie diene der Anerkennung des Mannes durch einen anderen Mann: "Da wächst man zusammen, wenn man sich schlägt."
Perspektive der Geflüchteten miteinbeziehen
Indes wächst in Österreich auch die rassistisch motivierte Gewalt gegen Frauen. 95 Prozent der antimuslimischen Gewalt in Österreich waren laut Zara-Rassismusbericht gegen Frauen gerichtet, 40 Prozent davon verbal (Zeitraum 10. 12. 2014 bis 21. 12. 2015, also vor den Ereignissen von Köln). 52 Prozent dieser Übergriffe trugen sich im halböffentlichen Raum zu. (dieStandard berichtete). "Jede männerdominierte Gesellschaft hat ein Problem mit Gewalt", so Scheibelhofer.
Welche Forderungen ergeben sich aus diesem Status quo? Heidi Pichler nannte die "Rückeroberung des Genderbegriffs durch positiv besetzte Männer und Frauen" sowie die "Einbeziehung der Perspektive der Geflüchteten am Podium". Dies unterstrich auch Nour Khelifi: "Es ist erschreckend, dass wir im Jahr 2016 Flüchtlinge noch immer unterschätzen." Sie könnten für sich selbst sprechen. Sollen sie auch. Insofern könnte auch die Grüne Bildungswerkstatt ihre Einladungspolitik aufs Podium für "Geschlechterverhältnisse und Einwanderungsgesellschaft #2" überdenken. Diese Veranstaltung war ja der Auftakt für eine ganze Reihe, mit deren Fortführung es hoffentlich gelingen wird, diese Perspektive stärker mit einzubeziehen. (Tanja Paar, 15.6.2016)