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"Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar.

Foto: reuters/sezer

Brüssel – Can Dündar, der regierungskritische Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet", der kürzlich zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt wurde und auf den auch ein Anschlag verübt wurde, hielt sich am Dienstag in Brüssel auf, um sich in Europa Gehör zu verschaffen. Geplant war auch ein Treffen mit dem Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz.

"Die Türkei ist die Hölle auf Erden für Journalisten", sagte Dündar vor Journalisten. Dündar und sein Kollege Erdem Gül wurden vor einem Monat wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente von einem türkischen Gericht verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Hintergrund der Anklage war ein "Cumhuriyet"-Bericht über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien aus dem vergangenen Jahr. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Anzeige gegen Dündar und Gül erstattet.

Kritik an Merkel

Dündar nutzte die öffentliche Bühne in Brüssel, um die EU bzw. dessen Führungskräfte zu kritisieren. Insbesondere die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bekam ihr Fett ab. Merkel sei in den vergangenen Monaten fünf Mal in der Türkei gewesen, habe aber nicht ein einziges Mal die demokratische Krise in der Türkei angesprochen, kritisierte der Journalist. Merkel komme nicht, weil sie die Türkei so schön finde, sondern wegen des Deals.

Die geplante Abschaffung der Visumspflicht sowie die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen waren für Erdogan die wichtigsten Bedingungen für den Deal mit der EU, im Gegenzug syrische Flüchtlinge aufzunehmen.

Türkisches Terrorgesetz

Aufgrund des Deals getraue sich kaum jemand in der EU, seine Stimme gegen die Türkei bzw. Erdogan zu erheben. Das sei beschämend und mache ihm Angst, sagte Dündar, der auf Einladung der Grünen-Fraktionschefin im EU-Parlament, Rebecca Harms, nach Brüssel reiste. An ein Zustandekommen des Deals glaubt der Journalist ohnehin nicht. Für die Visaliberalisierung verlangt die EU von der Türkei 72 Bedingungen, von denen einige noch nicht erfüllt sind. Es spießt sich vor allem an einer Änderung der Terrorgesetze in der Türkei. Erdogan will sich hier nicht bewegen. "Dank dieser Gesetze kann er Kritiker wie mich bestrafen", sagte Dündar.

Der "Cumhuriyet"-Chefredakteur appellierte an die Menschen, die Türkei nicht mit Erdogan gleichzusetzen. "Die Türkei ist nicht nur Erdogan, gleich wie Europa nicht nur Le Pen oder Merkel ist", so Dündar. Dieser andere Teil der Türkei möchte Teil von Europa sein und glaube an die europäischen Werte, meinte Dündar. (APA, 14.6.2016)