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Algen teilen sich im Wasser in bestimmte Tiefenzonen auf – und dafür braucht es eine ausreichende Artenvielfalt. Im Bild: eine lichtmikroskopische Aufnahme von einer Zieralge (groß, rund) und Grünalgen (klein, länglich).

Foto: picturedesk.com / Science Photo Library / Marek Mis

Lunz – Der Blick in diesen Kosmos braucht keine Weltraumtechnologie. Wer hineinspäht, entdeckt bizarre Formen. Eine Schar grüner Gebilde schwebt scheinbar unbeteiligt herum. Ihre Ruhe wird durch eine zylindrische Kreatur mit vibrierendem Haarkleid gestört – ein Wimperntierchen nähert sich. Flugs saugt der Einzeller die viel kleineren Algen ein. Fressen und gefressen werden, dieser Grundsatz der Biologie gilt auch im Wassertropfen.

Ob Meer, See oder Teich: Jedes Gewässer enthält unfassbare Mengen an Mikroorganismen. Fachleute bezeichnen solche Menagerien als Plankton. Vom Bakterium über Algen bis zum Kleinkrebs ist alles drin. Das Phytoplankton umfasst den pflanzlichen Anteil, Zooplankton die tierische Komponente. Ersteres bildet zudem das Fundament der Nahrungspyramide im Wasser. Die einzelligen Gewächse betreiben fleißig Photosynthese – die Umwandlung von anorganischem Kohlenstoff zu organischen Molekülen. Etwa die Hälfte der globalen CO2-Fixierung wird von Phytoplankton übernommen.

Die Effizienz der Ressourcennutzung ist allerdings nicht überall gleich. "Algen verfügen zum Beispiel über unterschiedliche Pigmente", sagt der Biologe Robert Ptacnik vom Forschungsinstitut Wassercluster Lunz, der von der Uni Wien, der Universität für Bodenkultur und der Donau-Uni Krems getragen wird. Die Farbstoffe dienen zwar alle der Photosynthese, doch ihre jeweilige Wirksamkeit ist abhängig von der Wellenlänge des vorhandenen Lichts. Das gesamte Spektrum dringt nur in die obersten Gewässerschichten gut ein. Unterhalb etwa zehn Metern ist dagegen fast nur noch grünes und blaues Licht zu haben. Idealerweise also teilen sich die Algen in bestimmte Tiefenzonen auf. Dafür braucht es eine ausreichende Artenvielfalt.

Bezüglich der Biodiversität von Mikroorganismen galt unter Experten lange die Maxime: Alle sind überall. Man ging davon aus, dass die Kleinstlebewesen praktisch keine Grenzen kennen. Zu leicht lassen sich ihre Sporen und eingekapselten Eier von Wind und Wasser verbreiten. Tatsächlich können viele dieser Spezies fast überall auf der Welt auftreten – es muss vor Ort nur ein geeigneter Lebensraum vorhanden sein. Für größere Pflanzen und Tiere sieht es bekanntlich anders aus. Ihre Präsenz bleibt meist auf bestimmte Kontinente oder Regionen beschränkt. Das Vorkommen solcher Arten ist nicht nur von lokalen Lebensbedingungen abhängig, sondern auch von der Möglichkeit, aus benachbarten Gebieten zuzuwandern. Afrikanische Waldelefanten zum Beispiel würden im Amazonas-Dschungel womöglich gut gedeihen, wenn sie dorthin gelangen könnten. Können sie aber nicht. Die Dickhäuter sind Teil des zentralafrikanischen Fauna- und Floraverbunds, der regionalen "Metacommunity". Dessen südamerikanisches Gegenstück bleibt für sie unerreichbar.

Metacommunitys scheinen jedoch nicht nur die Verbreitung größerer Spezies zu prägen. Vor etwa zehn Jahren fanden Wissenschafter erste Hinweise auf die Existenz solcher Gebietsgemeinschaften auch bei winzigen Kieselalgen. Ptacnik und einige seiner Kollegen gingen der Sache nach. Sie führten eine statische Analyse über das Vorkommen unterschiedlicher Phytoplankton-Gattungen in 477 skandinavischen Seen durch und kombinierten diese Daten mit Angaben über die regional vorherrschenden Umweltbedingungen.

Eindeutiger Trend

Die Auswertungen zeigen einen deutlichen Trend: Demnach gibt in es Skandinavien großräumig erhebliche Unterschiede in der Biodiversität des Phytoplanktons. Offenbar haben sich Metacommunitys gebildet (vgl.: Proceedings of the Royal Society B, Bd. 277, S. 3755). Die auftretende Artenvielfalt wird den Berechnungen zufolge vor allem durch das regionale Phosphorangebot beeinflusst. Letzteres spielt für jegliches Pflanzenwachstum eine Schlüsselrolle.

Wie viele Planktonspezies zu einem gegebenen Zeitpunkt in einem See leben, ist eine Frage der ökologischen Sättigung. Sind alle vorhandenen Nischen besetzt? Doch deren Anzahl kann auch schwanken, wie Ptacnik erläutert. "Die Umwelt ist nicht statisch." Nicht nur das Nährstoffangebot, auch der pH-Wert, der trübungsbedingte Lichteinfall und der Fraßdruck durch andere Organismen können sich ändern. Deshalb gelte: Je mehr Arten regional vorhanden sind, desto größer die Chance, dass einige optimal mit den neuen Bedingungen zurechtkommen. Sie brauchen nur über kurze Distanz zuzuwandern.

Simulierte Seen

Um die Auswirkung solcher Migrationsbewegungen auf die Dynamik von Ökosystemen genauer zu untersuchen, hat Ptacniks Team in Lunz eine aufwendige Versuchsreihe gestartet. Der Wissenschaftsfonds FWF leistet finanzielle Unterstützung. Die Wissenschafter simulieren Seen in 300-Liter-Kunststofffässern.

Die Behälter werden aus einer Quelle befüllt, anschließend gibt man genau dosierte Mengen an Nährstoffen hinzu und impft das Wasser mit einem Planktongemisch. Dieser Grundstock entstammt Wasserproben aus dem Lunzer See und zwei Baggerseen in der Nähe der Donau. So soll maximale Vielfalt gewährleistet sein. Im Verlauf der Experimente wurde einigen Bottichen regelmäßig frisches Plankton zugesetzt. Eine Simulation von Zuwanderung.

Die ersten Testergebnisse bestätigen die Vermutungen. Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Biodiversität, berichtet Ptacnik. Migration führt offenbar dauerhaft zu mehr Vielfalt, auch wenn alle möglichen Arten eigentlich schon in der Grundimpfung vorhanden waren. Wahrscheinlich sterben zwischenzeitlich immer wieder manche aus – eine Folge schwankender Umweltbedingungen. Reger Zuzug fordert zudem Stabilität. Ist er eingeschränkt, gelangen einzelne Algenspezies leichter zur Dominanz. Weitere Experimente sollen einen besseren Einblick ermöglichen. "Wir wollen wissen, wie schnell sich mikrobielle Artenvielfalt anpassen kann", sagt Ptacnik. "Das ist Terra incognita – und gerade in Zeiten sich ändernder Umweltbedingungen sehr relevant." (Kurt de Swaaf, 18.6.2016)