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Modifizierte Pflanzen aus dem Labor bereiten dem Europäischen Patentamt derzeit Sorgen: Agrarkonzerne fanden einen Weg, um manipulierte Pflanzen – etwa eine Tomate, die Krebs vorbeugen soll – zu patentieren.

Foto: Reuters/Kim Kyung-Hoon

Bernhard Gleich und Jürgen Weizenecker wollen auf neue Art in den menschlichen Körper schauen. Dazu schicken sie Eisenoxid-Partikel durch den Blutstrom. Mit speziell arrangierten Magneten können dann die Partikelkonzentrationen gemessen werden. Heraus kommen dreidimensionale Echtzeitbilder von Arteriensystemen und Organen. Ärzte könnten mit dem neuen diagnostischen Verfahren künftig Herz-Kreislauf-Erkrankungen selbst während chirurgischer Eingriffe erkennen. Die injizierten Partikel werden vom Körper problemlos abgebaut.

Vergangenen Donnerstag standen die beiden deutschen Physiker, die bei Philips Research in Hamburg forschen, auf einer Bühne in der MEO-Arena auf dem Lissabonner Expo-Gelände. Das Europäische Patentamt (European Patent Office – EPO) hatte sie wie viele weitere Wissenschafter, Politiker sowie Industrie- und Wirtschaftsvertreter zusammengetrommelt, um jene Erfinder zu feiern, deren patentierte Arbeiten große gesellschaftliche Auswirkungen hatten – oder voraussichtlich noch haben werden.

Meilensteine

Gleich und Weizenecker, die Preisträger in der Kategorie Industrie, haben gezeigt, wie ein bildgebendes Verfahren, das schneller und hochauflösender arbeitet als ein MRT, künftig aussehen könnte. Der französische Neurochirurg und Gewinner in der Kategorie Forschung, Alim-Louis Benabid, hat mit seinem "Hirnschrittmacher" – eine Sonde, die kontrollierte elektrische Impulse im Gehirn abgibt – eine Methode erfunden, die heute zu den Standardbehandlungen bei Parkinson gehört. Andere Preisträger sorgen dafür, dass Krebsmedikamente in Kapseln aus biologisch abbaubarem Kunststoff an ihren Bestimmungsort im Körper gebracht werden können, oder haben es geschafft, schädliche Stickoxide aus Dieselmotoren mithilfe von Ammoniak zu binden. Umwelttechnik und Medizin sind die Felder, aus denen die meisten Meilensteine kommen.

Während das Patentamt seine besten Kunden feiert, arbeitet es im Hintergrund an einer Verbesserung der internationalen Wissensverwaltung. Man ist stolz darauf, dass Europa mehr Patentwissen exportiert als importiert. Während die Zusammenarbeit mit China, Japan, Korea und den USA intensiviert wird und Patente durch automatisierte Übersetzungen schneller zugänglich werden, steht aber vor allem die Etablierung eines europäischen Einheitspatents an. Es soll Gebühren und Übersetzungen einsparen und ein "single legal right" mit einem zentralen Patentgericht in Paris bereitstellen.

Streitfall Pflanzenpatente

Mittlerweile hat das zehnte EU-Land das zugrunde liegende Vertragswerk ratifiziert. Sobald es 13 sind, soll – voraussichtlich 2017 – gestartet werden. Eine große Unsicherheit ist dabei ein möglicher Brexit, also ein Ausscheiden der Briten aus der EU. Großbritannien ratifiziert gerade das Einheitspatent und gehört nach heutigem Stand auch zu jenen Kernkandidaten, die jedenfalls ratifizieren müssten, bevor es starten kann. Wählt sich Großbritannien nun Ende Juni tatsächlich aus der EU hinaus, würde das das Einheitspatent zwar nicht zum Scheitern bringen, aber zumindest hinauszögern, ist aus dem EPO zu hören. Österreich war übrigens das erste Land, das ratifiziert hat.

Eine weitere große Baustelle im europäischen Patentrecht sind Patente auf Pflanzen, genauer auf Modifikationen von Pflanzen, die nicht auf eine bestimmte Pflanzenart beschränkt sind. Pflanzen sind durch den Sortenschutz abgedeckt und können eigentlich nicht patentiert werden. Genauso sind Methoden ausgeschlossen, die auf konventionelle Zuchtpraktiken zurückgreifen – inklusive des Smart Breeding, wobei keine artfremden Gene in Pflanzen eingebracht werden, aber auf Genmarker zurückgegriffen wird, um Züchtungen effizienter zu machen.

Nun wurde von Agrarkonzernen ein Weg gefunden, ihre Produkte dennoch mit Patenten zu schützen: Nicht die Prozesse der Entwicklung, nur das Endergebnis wurde patentiert. Das Patent des Schweizer Konzerns Syngenta auf eine Tomate, die mit einem hohen Gehalt des Stoffes Flavonol Krebs vorbeugen soll, ging durch die Medien und wurde heftig kritisiert: Eine solche Praxis würde die Vielfalt gefährden und die Abhängigkeit von Konzernen erhöhen. Über 80 derartige Patente seien laut Europäischem Patentamt bisher erteilt worden. Über 300 seien in der Warteschleife. Dort warten sie auf eine angekündigte Klarstellung der EU-Kommission.

Freies Wissen

Nicht nur die Inhalte, sondern auch der Umgang mit der Verwaltung neuen Wissens ändert sich. Neue, unter dem Begriff Open Innovation zusammengefasste Methoden erweitern den Personenkreis, der zur Wissensgenerierung beiträgt. Hybridpatente, die einen Teil des Wissens freigeben, wären hier denkbar. Andererseits helfen Patente nicht mehr nur dabei, die Mitbewerber auszuschließen. Immer öfter werden sie an möglichst viele Lizenznehmer weitergegeben. Unternehmen wie der Elektroauto-Avantgardist Tesla überlassen ihre Patente überhaupt der Öffentlichkeit.

Aber auch Tesla mit seiner zukunftsweisenden Fahrzeugtechnik sitzt auf den Schultern von Riesen. Einer davon ist Anton van Zanten, der in Lissabon für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Er arbeitete an Sicherheitssystemen wie dem Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) und dem Antiblockiersystem (ABS), die zu Grundlagen von Fahrzeugassistenzsystemen wurden, die künftig auch ohne menschlichen Lenker auskommen werden. (Alois Pumhösel aus Lissabon, 15.6.2016)