Wien – Der starke Aufschwung wird vorbei sein, so viel hatte man in Budapest erwartet. Doch die neuen Zahlen zur Entwicklung der ungarischen Wirtschaft haben bei der Regierung unter Premier Viktor Orbán für eine negative Überraschung gesorgt.

Laut EU-Statistikbehörde Eurostat ist die ungarische Wirtschaftsleistung in den ersten drei Monaten 2016 um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Das ist der miserabelste Wert in der EU. Selbst die krisengeschüttelte griechische Wirtschaft sackte nicht derart stark ab.

Premier Viktor Orbán hat seit seinem Amtsantritt 2010 einen großen Aktivismus an den Tag gelegt. Er ließ Pensionskassen verstaatlichen und Fremdwährungskredite zwangskonvertieren. Er führte ein Flat Tax zugunsten von Besserverdienern ein. Hinzu kamen neue Sondersteuern, etwa für Banken, Versicherungen und Telekombetriebe. Industrieunternehmen dagegen wurden mit Steuervorteilen ins Land gelockt.

Ökonomen nannten die eigenwillige Strategie "Orbanomics". Die meisten erwarteten, dass Investoren einen Bogen um das Land machen würden und Ungarn, das ohnehin stark unter der Wirtschaftskrise litt, einen Bauchfleck hinlegen werde. Doch 2014 und 2015 zählte Ungarn zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Europa. Orbán feierte sein Modell als neue Vorzeigestrategie. Aber woran liegt es, dass auf den Aufschwung ein Abschwung folgt?

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Ungarns Premier Viktor Orbán ist gern am Ball: Seit 2010 krempelt er das Land um und feierte seine "Orbanomics" als Erfolgsmodell.

Zunächst sind den Ungarn die hohen EU-Förderungen abhandengekommen, sagt der Ökonom Sandor Richter vom Wiener Osteuropainstitut WIIW.

Nach der Machtübernahme der rechtskonservativen Fidesz in Budapest wurde die Verwaltung des Landes umgekrempelt, erläutert Richter. Beamte wurden ersetzt, Abteilungen umstrukturiert. Das habe dazu geführt, dass Ungarn zwischen 2010 und 2012 um weniger Fördermittel aus europäischen Quellen ansuchen konnte.

Doch die Anträge wurden nachgeholt. So stieg die Summe der ausbezahlten EU-Gelder stark an und erreichte im vergangenen Jahr einen Betrag, der sechs Prozent der ungarischen Wirtschaftsleistung entsprach. Das ist ein europäischer Höchstwert.

Mit den Mitteln wurden viele Bauprojekte kofinanziert. Doch 2014 hat eine neue siebenjährige EU-Finanzperiode begonnen. Traditionell dauert es, bis Länder Gelder abrufen können. Nach Ungarn gelangen also derzeit weniger EU-Mittel, was die Wirtschaft trifft.

Probleme in der Automobilindustrie

Hinzu kommt, dass im wichtigsten ungarischen Industriezweig, der Automobilindustrie, ein Umbruch stattfindet. Audi und Suzuki stellen derzeit Produktionslinien um, was dazu geführt hat, dass im ersten Quartal deutlich weniger Fahrzeuge vom Stapel laufen konnten – auch das schlägt sich in der Statistik nieder.

István Mádar, Ökonom an der Corvinus-Universität in Budapest, erwartet, dass die Automobilproduktion im Gegensatz zu den EU-Förderungen wieder zeitnah zulegen wird. Aufs ganze Jahr 2016 gerechnet erwartet er keine Rezession. Das Wachstum werde aber an die Erfolge der Vorjahre nicht mehr anschließen, so Mádar.

Ist "Orbanomics" nun gescheitert? Die alternative Strategie der ungarischen Regierung war nie der Grund für das starke Wachstum der jüngeren Vergangenheit, sagen die Ökonomen Richter und Mádar. Umgekehrt hat die Strategie auch mit dem Einbruch wenig zu tun. Insgesamt habe Orbán Ungarns Ansehen bei Investoren aber eher geschadet, sagen beide.

Die Arbeitslosigkeit im Land ist übrigens über die vergangenen Monate gesunken. Das liegt nicht zuletzt daran, dass jüngst bereits 28.000 Ungarn zur Arbeit nach Österreich pendeln konnten. (András Szigetvari, 15.6.2016)