Die EU-türkischen Beziehungen gelten als angespannt.

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Ankara/Brüssel/Athen – Es ist eine Premiere, aber viel sagen wollte die Sprecherin nicht. "Ein neuer Delegationsleiter wird schnell ernannt", gab Maja Kocijancic, eine der Sprecherinnen der EU-Kommission in Brüssel, am Dienstag lediglich bekannt. Die Europäische Union hatte gerade ihren Botschafter in Ankara fallengelassen, weil er die türkische Führung verärgert hatte.

Hansjörg Haber wollte eine scherzhafte Bemerkung machen, aber gescherzt wird in Ankara schon lange nicht mehr. Der deutsche EU-Botschafter hatte im vergangenen Monat vor Journalisten ein türkisches Sprichwort zitiert: "Wie ein Türke beginnen, wie ein Deutscher aufhören." Etwas mit viel Enthusiasmus starten und dann diszipliniert zu Ende bringen, sollte das heißen. Bei der Visaliberalisierung sei das anscheinend andersherum, meinte der Leiter der EU-Delegation in Ankara. Die Bemerkung hat den deutschen Spitzendiplomaten nun den Job gekostet. Am Dienstagmorgen gab sein Büro den Rücktritt bekannt. Zu Mittag bestätigte die EU-Kommission den Schritt – ohne Angabe von Gründen.

Ins Außenamt einbestellt

Haber war im Mai sogleich ins türkische Außenministerium einbestellt worden. Entschuldigt soll er sich nicht haben. Seine Sichtweise habe er erklärt, so hieß es danach. Doch die türkische Regierung ließ den Fall nicht auf sich beruhen. Schließlich ging es um den Streit über die Erfüllung der letzten Punkte im Forderungskatalog der EU für die Aufhebung des Visazwangs. Eine Prestigefrage für Ankara, eine Prinzipienfrage für Brüssel. Die türkische Regierung hatte sich eine schnelle Visaliberalisierung noch zum 1. Juli ausbedungen als Teil des Flüchtlingsabkommens mit Europa. Haber stach mit seiner Bemerkung in ein Wespennest.

Ein Botschafter habe kein Recht, sich über ein Land lustig zu machen, kritisierte der damalige türkische EU-Minister Volkan Bozkir scharf. Er ist mittlerweile abgelöst worden durch den Erdogan-treuen Minister Ömer Çelik, ebenso wie Regierungschef Ahmet Davutoglu, unter dessen Regie das Flüchtlingsabkommen auf türkischer Seite verhandelt worden war. Die Visaliberalisierung zum Juli gilt als gescheitert, sie kommt nun frühestens mit Oktober. Brüssel drängt auf eine Reform der rigiden Anti-Terror-Gesetzgebung in der Türkei. Staatschef Tayyip Erdogan lehnt das ab. Der Abzug Habers könnte ein "Bauernopfer" sein, um das Flüchtlingsabkommen nicht zu gefährden. Sie würden keine Abkommen erfüllen, wenn die Europäer ihr Wort nicht hielten, haben Erdogan und seine Berater bereits gedroht.

Das türkische Massenblatt Hürriyet berichtete am Dienstag als Erstes über die Abberufung Habers. Die EU-Außenpolitikbeauftragte Federica Mogherini habe so entschieden, um den Streit mit Ankara zu entschärfen. Das deutsche Außenministerium habe sich bis zuletzt dagegen gewehrt, hieß es.

Der 63-jährige Haber war vor seinem Antritt in Ankara deutscher Botschafter in Kairo und bereits in den 1990er-Jahren als Diplomat in Ankara. Er übernahm erst im Oktober 2015 nach langer Vakanz den Posten des EU-Delegationsleiters. Sein Vorgänger, der Italiener Stefano Manservisi, war nach der Ernennung Mogherinis in deren Stab nach Brüssel gewechselt.

Nein zu Gesetzesänderung

Habers Rücktritt wurde in türkischen Regierungskreisen mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Premier Binali Yildirim bekräftigte in seiner wöchentlichen Rede vor der Parlamentsfraktion der konservativ-islamischen AKP, dass eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze, wie sie die EU wünsche, nicht zur Diskussion stehe. Die Visaliberalisierung möge bleiben, was sie sei, sagte Yildirim, es werde keinerlei Gesetzesänderung geben.

Wie schon zuvor sein Mentor Erdogan behauptete Yildirim in der wie immer direkt übertragenen Rede, die Forderung nach einer Reform der Gesetze zur Terrorbekämpfung sei ein neuer Einfall der EU. In Wahrheit ist sie seit Beginn des Visaliberalisierungsprozesses 2013 eine der 72 Punkte im Forderungskatalog der EU-Kommission.

Für Brüssel sind die türkischen Anti-Terror-Gesetze zu weit gefasst und beschneiden das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die regierende AKP hat zuletzt 2013 im Zuge einer Justizreform die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung reformiert. (Markus Bernath, 14.6.2016)