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Der Eiffelturm erstrahlte am Montagabend in den Farben des Regenbogens – ein Zeichen der Solidarität für die Opfer der Massenschießerei in Orlando.

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"Wir machen aus der EM einen Friedhof", erklärte der Attentäter, der Montagabend ein Polizistenpaar erstochen hat, der Polizei am Telefon. Spezialisten gehen von einer Anschlagsserie aus.

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Stundenlanges Drama mit tragischem Ausgang westlich von Paris: Zuerst versucht die Polizei noch mit dem Täter zu verhandeln, dann greift die schwerbewaffnete Anti-Terror-Einheit Raid ein.

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Am Vortag des Doppelmords in Frankreich gedenken die Franzosen auch der Opfer des Massakers von Orlando, bei dem am Wochenende 49 Besucher eines Homosexuellen-Clubs erschossen worden waren.

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Nach einer stundenlangen Geiselnahme stürmte die Einsatzpolizei gegen Mitternacht das Haus. Der Attentäter hat sich zum IS bekannt.

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Larossi Abballa war ein 25-jähriger Sandwich-Lieferant aus der Banlieue Mantes-la-Jolie. Montagabend nahm er hingegen ein Messer mit, als er ein benachbartes Einfamilienhaus aufsuchte. Er stach einen 42-jährigen Kommissar vor dessen Wohnhaus nieder und nahm dann dessen 36-jährige Gattin und ihren dreijährigen Sohn als Geisel.

Am Telefon erklärte er der Polizei, er folge einem Aufruf der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), während des Fastenmonats Ramadan Ungläubige zu ermorden. "Wir machen aus der EM einen Friedhof", erklärte er weiter, um daraufhin den Kontakt abzubrechen. Gegen 21 Uhr berichtete Abballa in einem zwölfminütigen Livevideo auf Facebook, dass er die beiden Vertreter des französischen Staates getötet habe. Im Hintergrund war das Kleinkind zu sehen. "Was ich mit ihm tue, weiß ich noch nicht", sagte er.

Gegen Mitternacht stürmte die Einsatzpolizei Raid das Haus. Sie erschoss den Täter und stieß auf den dreijährigen Bub in "Schockstarre", wie Staatsanwaltschaft François Molins am Dienstag an einer Pressekonferenz sagte.

Eine Liste mit Zielen

Die Terrormiliz IS bekannte sich nur Stunden nach der Tat über ihre Propagandaagentur Amak zu dem Anschlag. Sie bezeichnete Abballa als einen ihrer "Kämpfer".

Präsident François Hollande sprach seinerseits von einem "Terroranschlag". Die Polizei nahm in der Folge drei Bekannte des Jihadisten fest, allerdings ohne Hinweise auf die Existenz einer Terrorbande sicherzustellen. In der Nähe des Tatortes fand sie einen Koran und in Abballas Wohnung ein blutiges Messer. Sie stellte auch eine Liste möglicher Terroropfer aus Polizisten, Gefängniswächtern, Journalisten und Rap-Musikern sicher.

Viel Gesprächsstoff birgt, dass Abballa der Polizei seit Jahren als radikal bekannt war. Der Kleinkriminelle hatte auch eine Reise nach Pakistan geplant; 2013 war er mit anderen zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen Beteiligung an einem Jihad-Anwerbenetz verurteilt worden. Nach seiner Freilassung wurde er überwacht, sein Telefon lang abgehört.

War Abballa den Ermittlern durch die Maschen gegangen? Die meisten Experten verneinen: Der Sohn marokkanischer Immigranten sei einer von "tausenden" in der französischen Radikalenkartei, meinte der Forscher François-Bernard Huyghe vom Pariser Strategie-Institut Iris; sie alle zu überwachen sei schlicht unmöglich. Offensichtlich habe Abballa in seinem Viertel sehr unauffällig gelebt, ohne einen Salafistenbart oder eine Jellaba zu tragen oder radikale Moscheen zu besuchen.

Orlando war der Startschuss

Ungeklärt ist die Rolle des IS. Im Unterschied zu früheren Attacken scheint die Miliz die Terroranschläge in Orlando und nun in Mantes-la-Jolie nicht selber organisiert und ferngesteuert zu haben. Hingegen wirkten sich ihre militärischen Rückschläge in Syrien aus. "Ein IS-Sprecher hat alle Soldaten seines Kalifats und damit seine Sympathisanten kurz vor Beginn des Ramadan aufgerufen, namentlich in den USA, in Frankreich und in England Attentate zu verüben", meint der französische Spezialist Mathieu Guidère. "Orlando war der Startschuss zu einer neuen Anschlagsserie."

Auch der französische Philosoph Pascal Bruckner meinte am Dienstag in einem Zeitungsbeitrag: "Wir geraten in eine Routine des Abscheulichen." Das war an sich auf die Vorfälle in Florida gemünzt, ließ sich aber wegen der Vorfälle in der Nacht gleich auf den Doppelmord in Mantes-la-Jolie anwenden.

Valls: Frankreich "im Krieg gegen den Terrorismus"

Die Behörden reagieren relativ ratlos. Der sozialistische Premier Manuel Valls erklärte zum wiederholten Mal, Frankreich befinde sich "im Krieg gegen den Terrorismus". Oppositionschef Nicolas Sarkozy verlangte eine "umgehende" Erhöhung des Sicherheitsniveaus, obwohl der Plan Vigipirate im aktuellen Ausnahmezustand schon auf seiner höchsten Alarmstufe angelangt ist.

Zudem gingen in 50 französischen Städten Zehntausende von Gegnern der von der Regierung geplanten Arbeitsreform auf die Straße. In Paris kam es zu Krawallen und Randalen.

Zugleich lancierte die französische Justiz eine Aktion, um gewalttätige russische Fußballfans zu verhaften und des Landes zu verweisen. Am Montag hatte sie britische und andere Fußball-Hooligans zu harten Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr unbedingt verurteilt. (Stefan Brändle aus Paris, 15.6.2016)