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Bei Mahnwachen und Gedenken in den USA wird auch wiederholt ein schärferes Waffengesetz eingefordert. Sturmgewehre ("assault weapons") kann man derzeit legal kaufen.

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Tim Hetzner stellt Susie vor, indem er Visitenkarten verteilt. Bei Susie, steht auf den bunten Kärtchen, handle es sich um eine gute Freundin, bei der man sich alles von der Seele reden könne. Zu einem Hund zu sprechen sei manchmal einfacher, als sich einem Menschen zu offenbaren, sagt Hetzner und erzählt von seinen Katastropheneinsätzen.

Der Pfarrer aus Arlington Heights, einem Vorort Chicagos, war mit seinen Vierbeinern zur Stelle, als der Hurrikan Katrina in New Orleans die Dämme brechen ließ. In der Rolle eines Seelentrösters flog er auch in das idyllische Neuengland-Städtchen Newtown, wo ein geistig verwirrter Schütze in einer Volksschule Amok gelaufen war. Seit Montag ist er in Orlando. Zwanzig Helfer, zwölf Hunde. Spontan sind sie nach Orlando geflogen, nun warten sie im "Center", einer Beratungsstelle für Schwule, auf ihren Einsatz.

Es ist eng und laut in dem kleinen Raum voller Regenbogenflaggen, in dem Rob Domenico das Chaos zu ordnen versucht. Im Internet hat Domenico um Hilfe gebeten, weil die Angehörigen und Freunde der Toten und Verletzten psychologischer Betreuung bedürfen. In kürzester Zeit haben sich über zweihundert Freiwillige gemeldet. Domenico und viele andere haben Geschichten gehört, denen zufolge Omar Mateen, der Todesschütze im Pulse, fast so etwas wie ein Stammgast in dem Lokal gewesen sein soll. Im Durchschnitt alle zwei Wochen, seit drei Jahren schon, soll er dort gesessen und getrunken haben. Mal überaus freundlich, mal aufbrausend – es gibt verschiedene Versionen. Ob er selbst schwul war und umso wütender, weil sich das mit seinem nach außen gekehrten Macho-Anspruch nicht vertrug? Es ist nur einer der Erklärungsversuche, die hier die Runde machen.

Orlando rückt zusammen

Jedenfalls wissen sie im Center nicht mehr, wohin mit all den gespendeten Mineralwasserflaschen, Snacks und Ratgeberbüchern. Ähnliches ist überall in Orlando zu sehen. Im Laufe von zwei Tagen haben mehr als fünftausend Menschen Schlange gestanden, um Blut zu spenden, viele vor mobilen Ambulanzen in Form roter Busse.

"Rodolfo Ayala. Luis Daniel Leon. Mercedes Flores." Rasha Mubarak liest Namen vor, es sind die Namen derer, die das Massaker nicht überlebten. Mubarak leitet das Büro des Council on American-Islamic Relations, einer Bürgerrechtsorganisation, in Orlando. Dass sie zu denen gehört, die feierlich Namen verlesen, als die Stadt am Montagabend ihrer Toten gedenkt, ist an sich schon ein Signal.

"Wir sind eine Stadt, die alle einschließt, wir sind der amerikanische Schmelztiegel, wir akzeptieren jede Art, sein Leben zu leben", ruft Buddy Dyer, der Bürgermeister, den Tausenden zu, die sich auf der Wiese vor einer Kunsthalle versammelt haben. Auf seinem T-Shirt trägt er ein Herz in Regenbogenfarben, und allein schon die Rednerliste soll widerspiegeln, was für eine bunte Metropole Orlando ist. Aktivisten der Schwulenbewegung, islamische Geistliche, der Pfarrer der Iglesia El Calvario, einer Kirche, in der sonntags beim Gottesdienst spanisch gesprochen wird.

"Wir – lassen – uns – nicht – unterkriegen!"

In Orlando tun sie das, was Amerikaner nach einem Terroranschlag gewöhnlich tun: Man rückt zusammen. Nur steht es diesmal in auffälligem Kontrast zu den populistischen Tiraden eines Donald Trump, die nicht einmal den Schein eines Schulterschlusses zulassen. Umso demonstrativer zelebriert Orlando seine Einigkeit.

Am Ende der Mahnwache werden sie Kerzen anzünden, vorher nehmen viele bunte Kreidestifte zur Hand, um auf eine vierzig Meter lange Bahn Packpapier zu schreiben, was ihnen gerade durch den Kopf geht.

Als Neema Bahrami, der Manager des Pulse, die Bühne betritt, gibt es kein Halten mehr. Bahrami bündelt die Stimmung in einem Satz, den er förmlich hinausschreit, Wort für Wort: "Wir – lassen – uns – nicht – unterkriegen!" "Eines sollt ihr wissen: Wir gehen nicht fort. Wir sind hier, um zu bleiben."

Dann sagt er, dass jetzt wohl alle hier eines am nötigsten brauchen: eine kollektive Umarmung. (Frank Herrmann aus Orlando, 14.6.2016)