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Manche Dirigenten lassen sich nichts anmerken, stehen ganz ruhig auf dem Fleck, zeigen keine Emotionen. Antonio Conte ist kein solcher Dirigent.


Foto: Reuters/Pfaffenbach

Lyon – "Sogna Italia sogna!" (Träume, Italien, träume!), so titelte die Gazzetta dello Sport nach dem 2:0-Auftaktsieg der Squadra Azzurra. Ein Spiel und zwei Tore reichten, um am Stiefel den EM-Titel an die Wand zu malen. Aber es war ja nicht irgendein 2:0, der Gegner war der wirklich nicht geheime Favorit Belgien, das Spiel der erste wahre Kracher der EM.

Antonio Conte schickte eine Elf auf den Platz, die im Profifußball als Seniorentruppe durchgeht: Durchschnittsalter 31,5 Jahre, fünf Jahre älter als beispielsweise die deutsche Bubenschaft gegen die Ukraine. Da kann man von überaltert sprechen – oder von Routine. Conte tat weder noch. Für den 46-Jährigen war der Schlüssel Geschlossenheit: "Die Burschen haben gelitten. Das ist eine Mannschaft aus 23 guten Burschen, die Chemie stimmt."

Der so erfolgreiche Hobbychemiker Conte litt mit, nach dem Jubel über das 1:0 blutete seine Nase immer wieder. Es wird es ihm wert gewesen sein. Das Führungstor war eine Kombination zweier herausragender Einzelaktionen, jedes noch so schmerzhaften Jubels würdig: ein pirloesker Zuckerpass von Leonardo Bonucci, eine unwiderstehliche Annahme samt optimalem Abschluss von Emanuele Giaccherini. Oder wie es Belgien-Teamchef Marc Wilmots analysierte: "Das war ein individueller Fehler, es gab ein Missverständnis in der Hintermannschaft." Das stimmte natürlich auch, Toby Alderweireld hatte Giaccherini zu viel Raum gegeben.

Italienische Abgekochtheit

Im Freundschaftsspiel im November drehten die Belgier denselben Rückstand noch in ein 3:1. Montagabend war in Lyon weder Freundschaft noch ein Comeback im Spiel. Die Kicker vom Stiefel spielten ebendiesen recht souverän herunter, von den belgischen Individualisten kam wenig, auch von Jungstar Kevin de Bruyne. Der 24-Jährige enttäuschte dermaßen, dass sich Wilmots bemüßigt fühlte, ihn in Schutz zu nehmen: "Kevin ist nach einer langen Saison ziemlich ausgelaugt. Er hat schon so viel für das Nationalteam getan, ich werde ihn jetzt nicht hinrichten." Wurde doch auf der anderen Trainerbank schon genug Blut vergossen.

Außerdem: Belgien hat noch genug Trümpfe in der Hand, die verbleibenden Gegner Schweden und Irland sind schwächer einzuschätzen. "Es ist noch nichts verloren", sagte auch Wilmots. Das stimmte nun doch nicht so ganz, drei Punkte sind schon weg. Und warum? Thibaut Courtois, Torwart der "Roten Teufel": "Italien war taktisch besser." Ein Unterschied, der im Duell zwischen dem dreifachen Juve-Meistertrainer Conte und dem als Coach titellosen Wilmots (47) mäßig überraschend, dafür streckenweise umso offensichtlicher war.

Die Sieger wussten ihre taktische Überlegenheit zu schätzen, wollten sich aber nicht darauf reduzieren lassen. "Wir haben typisch italienische Qualitäten gezeigt: Aufopferung, Ergebenheit, Fitness und Wille", sagte Assistgeber Bonucci. Contes nüchternes Schlusswort: "Wir sind in einer guten Position, um aufzusteigen." Und das stimmt wieder. (masc, 14.6.2016)