"Wir stehen unter internationaler Beobachtung": ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hofft, dass die Präsidentenstichwahl nicht wiederholt werden muss, denn: "Ich würde das als Blamage empfinden, noch dazu, wenn das Ganze bei nur zwei Kandidaten passiert sein sollte."

Foto: Heribert Corn

"Die Rolle des ÖVP-Klubobmanns wird dämonisiert", meint der ÖVP-Chef zur Wahl der neuen Rechnungshof-Chefin – und stellt vor der Bestellung des nächsten ORF-Generals klar: "Ich habe den Eindruck, dass auch der öffentlich-rechtliche Auftrag zu diskutieren ist."

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Wie viel Django nach knapp zwei Jahren als Vizekanzler und ÖVP-Chef noch in ihm steckt? "Wenn der Django mit Tatkraft und Mut verbunden ist", sagt Mitterlehner, "dann gibt's ihn noch." Aber: "Mit so einer Metapher kann man nicht Politik machen."

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Wien – Für Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner wäre eine Wiederholung der Präsidentenstichwahl eine "Blamage", wie er im STANDARD-Interview erklärt – nicht nur, weil nachgewiesene Unkorrektheiten im zweiten Wahlgang mit "nur zwei Kandidaten beim Publikum schlecht" ankommen würden, sondern auch, weil Österreich "hier unter internationaler Beobachtung" stehe.

Angesichts der "diffusen Zustände" – am Montag beginnt nach Anfechtung der FPÖ der Verfassungsgerichtshof sein aufwendiges Prüfverfahren – weist Mitterlehner Gerüchte zurück, wonach auch die Nationalratswahl früher als geplant stattfinden könnte: "Ich halte Neuwahlen für absolut sinnlos." Im Hinblick auf die Neubestellung des ORF-Generals übt der ÖVP-Chef heftige Kritik an dem öffentlich-rechtlichen Sender: Die objektive Vorgangsweise sei auch bei der Hofburg-Wahl "nicht in allen Fällen gewährleistet" gewesen.

STANDARD: Wie viel Django steckt denn noch in Ihnen nach knapp zwei Jahren als Vizekanzler und ÖVP-Chef?

Mitterlehner: Wenn der Django mit Tatkraft und Mut verbunden ist, dann gibt's ihn noch. Aber mit so einer Metapher kann man nicht Politik machen. Denn dass sich ein Hype nach einer Neubestellung rasch abnützen kann, erlebt auch Christian Kern gerade. Da kommt man dann rasch wieder in der Realität an.

STANDARD: Wo sehen Sie das bei Kanzler Kern?

Mitterlehner: Ich meine seine Forderung nach Maschinensteuer und Arbeitszeitverkürzung. Das war offenbar einem Parteitag geschuldet, ist aber gerade in Richtung Wirtschaftstreibende die falsche Botschaft gewesen.

STANDARD: Nach nur einem Monat sieht Ihre neue Koalition schon wieder alt aus. Sind Sie überrascht, wie schnell der Lack abging?

Mitterlehner: Bei jedem Neuantritt gibt es ja riesige Erwartungshaltungen. Aber es muss auch der Unterbau vorhanden sein, und das ist bei einer derartig komplizierten Politiklage wie derzeit mit vielen Problemen schwierig – und da kommt man rasch in den Mühen der Ebene an. Dort stehen wir jetzt. Aber wir planen eine gemeinsame Vorgangsweise und wollen sie auch realisieren. Denn die Leute haben von Auseinandersetzungen genug, sie erwarten solide Arbeit.

STANDARD: Im Augenblick überwiegt der Streit über Rechnungshof, Mindestsicherung, Maschinensteuer, ORF-Besetzung.

Mitterlehner: In der Sache Auseinandersetzungen zu haben, ist ja nicht unehrenhaft. Gemessen werden wir aber daran, ob wir in den nächsten Monaten Lösungen vorlegen.

STANDARD: Die Auseinandersetzung um den Rechnungshof war aber nicht besonders elegant.

Mitterlehner: Die Opposition hätte es in der Hand gehabt, sich vorher auf einen Kandidaten zu einigen, den die Regierung im Sinne der Kontrolle mittragen hätte können. Das ist aber nicht passiert.

STANDARD: Auch die Regierung hätte sich auf einen Kandidaten verständigen können.

Mitterlehner: Das war nicht möglich, weil sich jeder schon festgelegt hatte.

STANDARD: Haben Sie Ihren Klubobmann Reinhold Lopatka noch im Griff – oder hat er Sie im Griff?

Mitterlehner: Ich war im Klub bei der Meinungsbildung dabei und habe dort meine Ansicht eingebracht. Daher haben wir das gemeinsam abgewickelt. Die Rolle des ÖVP-Klubobmanns wird also dämonisiert und überstilisiert.

STANDARD: Wir tun Lopatka Unrecht?

Mitterlehner: Ich finde die ganze Angelegenheit medial überwertet. Jede Partei hat versucht, taktische Varianten auszuloten, das hat er auch gemacht.

STANDARD: Dennoch hat Lopatka eine ziemlich schlechte Nachrede.

Mitterlehner: Bedauerlicherweise.

STANDARD: Sie haben doch selber gesagt, auch sein Stil muss ein anderer werden?

Mitterlehner: Dazu stehe ich. Die Kritik vor dem Amtsantritt von Kern war überzogen, das hat er selbst bemerkt und dann auch relativiert.

STANDARD: Gibt es in der ÖVP zu viele Sozifresser?

Mitterlehner: Es gibt Funktionäre, die glauben, dass man in der Auseinandersetzung mit dem Anderen Wähler gewinnt – und das ist eine weitverbreitete Meinung, auch in der SPÖ. Ich teile diese Ansicht nicht. Man gewinnt, wenn man Politik authentisch umsetzt und Probleme löst, eventuell auch mit einem Kompromiss.

STANDARD: Ist Alexander Wrabetz ein guter ORF-General – oder wäre Richard Grasl ein besserer?

Mitterlehner: Wir haben beim ORF eine klare Konstellation mit Stiftungsräten, die gerade im Prozess der Meinungsbildung sind. Manche dort erwecken den Eindruck, eventuell für mehrere Kandidaten stimmen zu wollen. Aber das müssen die Damen und Herren unter sich austragen.

STANDARD: Was ist Ihre Meinung über Wrabetz?

Mitterlehner: Ich habe eine kritische Meinung zum ORF. Denn ich habe den Eindruck, dass die objektive Vorgangsweise, was die politische Berichterstattung anbelangt, nicht in allen Fällen gewährleistet war und dass auch der öffentlich-rechtliche Auftrag zu diskutieren ist.

STANDARD: Worauf spielen Sie an?

Mitterlehner: Ich meine etwa die Schlussrunde zwischen den Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer – die war nicht fair, da ist schon tagelang vorher kolportiert worden, dass der ORF ein Thema parat haben wird. In der Geschichte rund um Hofers Israelreise war ein Recherchefehler – und den Gegenkandidaten hat man nicht mit gleicher Härte behandelt. Das war nicht objektiv. Und dass vorher Kanzler Werner Faymann alleine die Sendung Im Zentrum bestreiten durfte, war auch nicht in Ordnung.

STANDARD: Trägt Wrabetz die Schuld daran?

Mitterlehner: Die Gesamtverantwortung für das Unternehmen hat der Generalintendant.

STANDARD: Meinungsunterschiede gibt es in der Koalition auch bei der Mindestsicherung. Die ÖVP will eine Deckelung von 1500 Euro, die SPÖ ist strikt dagegen. Wie geht das weiter mit der Problemlösung?

Mitterlehner: Wir verhandeln. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass das Thema auf dem Rücken der Armen ausgetragen wird. Es ist aber unser berechtigtes Anliegen, dass es gewisse Unterschiede zwischen Mindestsicherung und Arbeitseinkommen gibt. Da fehlt die richtige Relation.

STANDARD: Die Bundesländer fahren mit der Regierung Schlitten: Der Bund will eine landesweit einheitliche Lösung, aber die Oberösterreicher beschließen Kürzungen für Asylwerber und in Niederösterreich droht die ÖVP mit einem Alleingang bei der Deckelung.

Mitterlehner: Jedes Bundesland hat die Möglichkeit, eigene Gestaltungen vorzunehmen. Auch ich bin für eine Deckelung.

STANDARD: Ist das sinnvoll, wenn jetzt jedes Bundesland eine eigene Regelung schafft?

Mitterlehner: Sinnvoll wäre eine gleiche Regelung für alle. Aber nachdem es unterschiedliche Bundesländer mit unterschiedlichen Konstellationen gibt, sind auch andere Umsetzungen gerechtfertigt.

STANDARD: Es sind aber nur die ÖVP-Länder, die ausscheren.

Mitterlehner: Erfreulicherweise haben wir eine Dominanz schwarzer Bundesländer in Österreich. Mit uns fährt niemand Schlitten, wir agieren da gemeinsam.

STANDARD: Das ist jetzt ein Widerspruch: Sie wollen eine gleiche Regelung für alle und begrüßen gleichzeitig die Alleingänge.

Mitterlehner: Die regionalen Unterschiede sprechen auch dafür, dass man Abstufungen hat. Eine gemeinsame Vorgangsweise wird verhandelt, aber da müssen halt alle mitspielen.

STANDARD: Der nächste Streitpunkt ist die Maschinensteuer. Sie sind dagegen – aber wo soll denn neues Geld herkommen?

Mitterlehner: In Zeiten wie diesen, da Investitionen ohnedies nur zögerlich getätigt werden, ist eine Umschichtung absolut die falsche Botschaft, das ist ein Signal gegen Investitionen. Wir müssen stattdessen die Effizienzsteigerung diskutieren, etwa im gesamten Sozialversicherungssystem: Brauche ich neun Gebietskrankenkassen? Brauche ich die unterschiedlichen Versicherungsträger? Dort würde ich ansetzen.

STANDARD: Die Notwendigkeit von frischem Geld sehen Sie nicht?

Mitterlehner: Die sehe ich immer, aber nicht durch neue Belastungen. Steuererhöhungen wären falsch. Es gab bei uns die Sorge, ob der neue Kanzler der ÖVP die Wirtschaftskompetenz abnehmen wird, die Gefahr sehe ich nicht. Wir haben hier Gelegenheit, uns sehr differenziert darzustellen.

STANDARD: Das klingt nach einem guten Wahlkampfthema.

Mitterlehner: Das könnte, wenn Sie wollen, ein Wahlkampfthema sein. Nur haben wir jetzt nicht Wahlkampf.

STANDARD: Aber jetzt gibt es doch schon Stimmen in der Koalition, die spekulieren, ob nicht schon heuer oder zu Beginn des nächsten Jahres gewählt werden könnte?

Mitterlehner: Es ist richtig, dass es die Diskussion da und dort gibt. Aber bei den diffusen Zuständen, die gerade herrschen, wo man nicht einmal weiß, ob die Bundespräsidentenstichwahl wiederholt wird, halte ich Neuwahlen für absolut sinnlos. Ich hoffe, dass man die Stichwahl nicht wiederholen muss – weil das beim Publikum schlecht ankommt. Ich würde das als Blamage empfinden, noch dazu, wenn das Ganze bei nur zwei Kandidaten passiert sein sollte. Es droht zwar keine Staatskrise, aber wir stehen hier auch unter internationaler Beobachtung. (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 17.6.2016)