Erich Fenninger: Der Volkshilfe-Chef ist im ORF-Stiftungsrat Leiter des SPÖ-"Freundeskreises".

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Farbenspiele im ORF-Stiftungsrat.

grafik: STANDARD

Wien – Am 9. August wählen die 35 Stiftungsräte den ORF-Generaldirektor. Jeweils 13 Stiftungsräte lassen sich im Lager der SPÖ bzw. der ÖVP verorten (siehe Grafik). Um die Gunst der restlichen Gremienvertreter buhlen mit Alexander Wrabetz der amtierende ORF-Chef, der den Chefsessel zum dritten Mal en suite erobern möchte, und ORF-Finanzdirektor Grasl, der sich noch nicht deklariert hat, ob er tatsächlich kandidieren wird.

STANDARD: Weil die ÖVP die Rechnungshofpräsidentin bekommen hat, wird spekuliert, dass die ORF-Generaldirektion in der Hand der SPÖ bleibt. Gibt es diesen Deal?

Fenninger: Ich bin einer von 35 Stiftungsräten, und diese Gremienvertreter haben laut ORF-Gesetz eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Auf einen parteipolitischen Deal würde ich nicht eingehen. Es war auch von anderen Gerüchten die Rede, zum Beispiel dass das Ergebnis beim Rechnungshof nicht nach Wunsch der ÖVP gelaufen sei. Stiftungsräte haben nicht auf Zuruf der Politik zu agieren. Dafür würde ich auch nicht zur Verfügung stehen.

STANDARD: Sollte es einen Deal im Hintergrund geben, würden Sie blockieren?

Fenninger: Genau. Ich muss dem Gesetz gerecht werden. Dazu gehört nicht, auf Deals von anderen einzugehen.

STANDARD: Sie sind SPÖ-Freundeskreisleiter. Können Sie das auch für die anderen SPÖ-nahen Stiftungsräte garantieren?

Fenninger: Ich garantiere nichts. Dieser Begriff Freundeskreis und Vorsitzender des Freundeskreises ist zu problematisieren. Hier sitzen Menschen mit unterschiedlichem Wertekanon, was legitim ist, weil sie die Gesellschaft in Österreich abbilden. Ich sehe mich mit meinem sozialarbeiterischen Hintergrund als Teil der Zivilgesellschaft. Jeder muss wissen, dass er eine persönliche Verantwortung in dem Gremium hat, und er muss einen Beitrag leisten, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestmöglich zu unterstützen.

STANDARD: Von Gesetzes wegen sind Sie ja dem ORF verpflichtet und nicht der Politik.

Fenninger: Das halte ich für ganz wichtig. Parteipolitisches Denken darf nicht mehr Gewicht haben als die Aufgabe, im Sinne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu arbeiten.

STANDARD: Und trotzdem gibt es diese Freundeskreise. Warum?

Fenninger: Man muss sich das so vorstellen, dass man Gespräche mit allen führt und nicht nur mit Gleichgesinnten. Man versucht, Entscheidungen herbeizuführen, die zum Wohle des Unternehmens beitragen. Der ORF gehört zur Daseinsvorsorge, und es ist wichtig, dass es ein nichtkommerzialisiertes Medium gibt. Deswegen engagiere ich mich gern persönlich, und dazu gehört – bei aller Wertorientierung –, sich nicht von einer Parteienlandschaft instrumentalisieren zu lassen.

STANDARD: Wie ist das bei Ihnen? Gibt es regen Kontakt mit dem neuen Bundeskanzler und dem SPÖ-Klubobmann?

Fenninger: Definitiv nicht. Unsere Aufgabe ist – gerade vor einer Generaldirektionswahl – zu prüfen, ob der ORF gut aufgestellt ist, aber sicher nicht, einen Auftrag von außen in Empfang zu nehmen.

STANDARD: Kein Diktat der Parteizentrale?

Fenninger: Auf keinen Fall. Als ich diese Aufgabe 2014 übernommen habe, habe ich klar gesagt, dass ich nicht dafür zur Verfügung stehe, von außen Aufgaben in den ORF hineinzutragen. Einflussnahme, egal von welchen Parteien, sollte man verhindern und die ORF-Redakteurinnen und Redakteure dabei unterstützen, möglichst kritisch und objektiv berichten zu können.

STANDARD: Sie haben bereits angekündigt, dass Sie Alexander Wrabetz wählen werden. Warum?

Fenninger: Bis jetzt gibt es nur einen offiziellen Kandidaten. Grundsätzlich sollte man als Stiftungsrat allen Bewerbungen gegenüber offen sein, sonst wäre eine Ausschreibung ja grotesk. Sie haben ja die Vorgänge zum Rechnungshof gesehen, die nicht unbedingt ein Ruhmesblatt eines qualitativen Entscheidungsprozesses waren. Alexander Wrabetz hat seine Sache in den letzten zwei Geschäftsführungsperioden nicht schlecht gemacht. Kritik kann man immer üben.

STANDARD: Was kritisieren Sie?

Fenninger: Ich als Hörer und Zuseher wünsche mir beispielsweise mehr Information, Kultur und Alternativkultur oder Gesellschaftskritik, aber im Vergleich mit anderen öffentlich-rechtlichen Sendern in Europa steht der ORF in diesen Bereichen sehr gut da. Er hat die Qualitäts- und Marktführerschaft im Fernsehen, Radio und Online und ist wirtschaftlich erfolgreich. Es gibt mit ORF Sport Plus, einem Kanal für Nichtmainstreamsportarten, und mit ORF 3, einem Spartenkanal mit einer gewissen Analogie zu Arte, mehr Programm denn je. Es wurde auch in die Filmindustrie investiert. Für ein Aufsichtsratsmitglied sind das alles Parameter, ob etwas gut oder schlecht funktioniert. Der ORF schneidet da gut ab. Ich habe zum Beispiel die "Wahlfahrt" als sehr gelungenes Format empfunden. Das spricht auch jüngere Leute an.

STANDARD: Das sind die Punkte, die für Wrabetz sprechen?

Fenninger: Das ist in seiner Ägide passiert, wobei man natürlich sagen muss, dass dafür nicht nur der Generaldirektor verantwortlich ist, sondern ein Team dahintersteht. Enorm beeindruckt bin ich zum Beispiel von der "ZiB 100". Die Anliegen von Behinderten sind mir besonders wichtig, und Gehörlose bewerten dieses Format mit der Untertitelung als gleichberechtigte Informationsmöglichkeit. Jedenfalls sind das Leistungen, die für den ORF und Wrabetz sprechen. Ein Asset sind auch eigene Serien wie "Braunschlag", "Altes Geld", "Schnell ermittelt", die "Landkrimis", und wie sie alle heißen.

STANDARD: Gesetzt den Fall, eine Bewerberin oder ein Bewerber präsentiert Pläne, Information und Kultur auszubauen, US-Serien zu reduzieren, also Sachen zu forcieren, die Ihre Interessen widerspiegeln. Was würde dann passieren?

Fenninger: Diese Person ist momentan weit und breit nicht zu sehen, sie kann aber noch kommen. Dann muss geprüft werden, ob es ein ernsthaftes Anliegen ist, das sich umsetzen lässt. Für Wrabetz spricht, dass er es gemacht hat. Wir haben heute ORF 3, mehr Informations- und Kultursendungen, mehr Barrierefreiheit. Das sind Argumente, aber die Entscheidung treffen wir nach dem Hearing.

STANDARD: Signale, dass ORF-Finanzdirektor Richard Grasl gegen Wrabetz antreten wird, gibt es. Was glauben Sie?

Fenninger: Es ist schwer darüber zu reden, weil es nicht dokumentierbar ist. Kommuniziert wird, dass sehr emsig Gespräche geführt werden. Das deutet daraufhin, dass er es vorhat.

STANDARD: Wrabetz hat in einem Interview gesagt, dass er zwei Drittel der Stiftungsräte auf seiner Seite hat. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung?

Fenninger: Ob das zwei Drittel sind, kann ich nicht beurteilen, und es steht mir auch nicht zu. Mein Eindruck ist, dass es in den offiziellen und nichtoffiziellen Sitzungen eine hohe Zustimmung gibt. Einen massiven Unmut über Wrabetz und die Ausrichtung des ORF erkenne ich nicht.

STANDARD: Diskutiert wurde, ob es eine Doppelspitze geben soll. Können Sie diesem Modell etwas abgewinnen?

Fenninger: Das ORF-Gesetz lässt das nicht zu. Es ist Aufgabe des Parlaments, hier Entscheidungen zu treffen, und nachdem der Gesetzgeber keine Veränderung vor der ORF-Wahl gemacht hat, wird es so bleiben. Zweitens sehe ich es vom Standpunkt der Organisationsentwicklung her problematisch, wenn es Unklarheiten gibt. Eine klare Letztentscheidung ist gut, und der Generaldirektor hat ja bereits angekündigt, dass er in der nächsten Periode noch stärker teamorientiert arbeiten möchte.

STANDARD: Und er hat angekündigt, die Rechte der Redakteure stärken zu wollen.

Fenninger: Das muss er im Detail präsentieren. Ich möchte als Rezipient eine kritische, unabhängige Berichterstattung haben. Journalistinnen und Journalisten müssen frei recherchieren können. Entwicklungen in anderen Ländern sind hier besorgniserregend, weil es massiven Einfluss seitens der Politik auf Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender, aber auch der Privaten gibt. Das ist gefährlich für die Demokratie. Baut Wrabetz solcher Einflussnahme vor, hat er meine Unterstützung. In Österreich hat sich Politik massiv verändert, es gibt nicht nur mehr zwei Großparteien, sondern es muss allen gesellschaftlichen Strömungen Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der ORF muss diese Unabhängigkeit leben und die Redakteurinnen und Redakteure schützen.

STANDARD: Bei der Frage der Unabhängigkeit kommt eine ORF-Reform ins Spiel, die seit Jahren Thema ist und die eine Entpolitisierung des Stiftungsrats zum Ziel hatte. Wie könnte so ein Modell aussehen?

Fenninger: Es ist Aufgabe des Parlaments, ein Modell zu finden und umzusetzen. Alles was dazu beiträgt, die Unabhängigkeit zu stärken, halte ich für wichtig. Eine Möglichkeit ist natürlich, den Aufsichtsrat zu verkleinern und damit die Effizienz zu erhöhen. Auf der anderen Seite gibt es wahnsinnig viele Themen, mit denen sich Aufsichtsräte beschäftigen müssen. Entsendung von der Politik ist grundsätzlich problematisch. Sind das aber dann vielleicht nur große Wirtschaftskapitäne, stehen da möglicherweise auch Interessen dahinter. Ich bemühe mich als einer von 35 Vertreterinnen und Vertretern, meine Rolle ernst zu nehmen, auch im Sinne der Unabhängigkeit. Und zu kommunizieren, dass Zurufe von außen nicht angenommen werden. Das muss jeder für sich entscheiden. Für mich sind Deals ein No-Go.

STANDARD: Von "Freundeskreisen" steht auch nichts im ORF-Gesetz. Naiv gefragt: Warum gibt es sie trotzdem, und könnte man sie nicht einfach abschaffen?

Fenninger: Es gibt Treffen von Stiftungsräten. Man redet in Sitzungen und außerhalb miteinander. Versammelt sind Leute mit unterschiedlichen Expertisen. Etwa eine Andrea Schellner (von der Regierung entsandt, Anm.), die eine hohe Wirtschaftskompetenz hat. Man hört hin, wenn die etwas sagen. In dieser Bauphase ist für mich die Präsenz eines Hans Peter Haselsteiners (Neos-Stiftungsrat, Anm.) wichtig. Grundsätzlich ist es gut, dass in einem Aufsichtsrat Expertisen vorhanden sind, die Unternehmen gerecht werden und die auch die Zivilgesellschaft abbilden. Das ist die wesentlich wichtigere Annäherung, als nach Parteipolitik zu gehen.

STANDARD: Für heftige Reaktionen haben das Faymann-Solo bei "Im Zentrum" gesorgt – vor allem die ÖVP hat geschäumt – die Recherchen zu Norbert Hofers Israel-Reise haben wiederum die FPÖ auf die Palme gebracht. Sind da Fehler passiert?

Fenninger: Im Falle Faymann habe ich mich auch persönlich bei den Redakteurinnen und Redakteuren informiert, wie diese Einladung zustande gekommen ist. Hätte es einen bestellten Auftritt nach parteipolitischen Überlegungen gegeben, von wem auch immer, würde ich das kritisieren. Nachdem diese Idee aber von den Redakteurinnen und Redakteuren selbst gekommen ist und nicht vom Generaldirektor, halte ich das für vollkommen legitim. Die deutsche Bevölkerung hatte zum Beispiel ein großes Interesse am Interview mit Kanzlerin Angela Merkel, als diese bei Anne Will zu Gast war.

STANDARD: Und bei Norbert Hofer?

Fenninger: Bei Van der Bellen ist beispielsweise die Frage nach seiner Kurskorrektur bei TTIP immer wieder gestellt worden, und ich halte es für legitim, bei Hofers Israel-Besuch zu recherchieren, ob es so war, wie es dargestellt wurde. Investigativ und kritisch zu sein ist Aufgabe des Journalismus – sowohl im ORF als auch bei anderen Medien. Ich möchte in keinem Staat leben, der investigativen Journalismus verhindert. Ich denke da beispielsweise an die Panama Papers, als Medien enorm viel geleistet haben. Haben wir keine Medienpluralität, ist das eine große Gefahr für die Demokratie.

STANDARD: FPÖ-Chef Strache hat in der Causa Israel-Reise "seinen" Stiftungsrat Norbert Steger alarmiert, der wiederum von Generaldirektor Wrabetz eine Entschuldigung gefordert hat, weil dieser sonst nicht mehr wählbar sei. Was halten Sie von dieser Vorgehensweise?

Fenninger: Grundsätzlich haben Parteien das Recht, egal welche Farbe sie haben, Berichterstattungen zu hinterfragen. Wird das öffentlich gemacht, ist mir das lieber, als wenn es über inoffizielle Kanäle passiert. Die Grünen haben beispielsweise unter Berufung auf ihre Medienmessung kritisiert, dass sie zu selten in den ORF-Nachrichten vorkommen. Das finde ich legitim. Der ORF sollte dafür garantieren, dass sich die Bevölkerung ein ausreichendes Bild über die Parteien machen kann, um aufgeklärt zur Wahlurne schreiten zu können.

STANDARD: Und wenn man das über Stiftungsräte macht?

Fenninger: Das ist schwierig. Ich habe den Herrn Steger kennengelernt, und er liefert immer wieder differenzierte und qualifizierte Beiträge. Ich glaube nicht, dass er alles auf Zuruf macht. Wichtig ist, dass Journalistinnen und Journalisten nicht unter Druck gesetzt werden. In diesem Fall hat man recherchiert, und es hat diesen Todesfall nicht gegeben. Es gab einen anderen Vorfall, den man in der nächsten "ZiB 1" dann auch erwähnt hat.

STANDARD: Manche haben kritisiert, dass Wrabetz gleich reagiert hat und sich nicht zur Gänze vor die Redakteure stellt, weil er um Stegers Stimme bei der Wahl fürchtet.

Fenninger: Diesen Eindruck hatte ich nicht. Ich habe weder im Stiftungs- noch im Publikumsrat erlebt, dass man sich nicht vor die Redakteurinnen und Redakteure stellt. Grundsätzlich hat jeder das Recht – auch der Herr Hofer – sich zu beschweren, dass er ungerecht behandelt wird. Auch gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Nur muss man das prüfen, und diese Prüfung hat aus meiner Sicht ergeben, dass diese Erzählung und diese Dramaturgie, dass jemand zu Tode gekommen sei, in der Form nicht gestimmt hat. Eingeräumt wurde, dass es besser gewesen wäre, diesen Vorfall mit einer Verletzten an einem anderen Ort zu erwähnen.

STANDARD: Noch einmal zu dieser Vorgehensweise über Stiftungsräte: Wäre es denkbar, dass Sie einen Anruf aus der SPÖ-Zentrale bekommen mit der Order: Herr Fenninger, bitte beschweren Sie sich?

Fenninger: Das hat noch nie stattgefunden, seit ich diese Funktion habe, und bei der Übernahme dieser Funktion habe ich das auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das mit mir nicht geht. Das ist nicht meine Aufgabe. (Oliver Mark, 22.6.20216)