Die Linux-Welt hat einen neuen zentralen Konflikt.

In den letzten Tagen macht eine vielversprechende Nachricht die Runde durch die IT-Presse: Mit Snappy wolle Ubuntu-Hersteller Canonical die Programmauslieferung unter Linux revolutionieren. Und die noch bessere Nachricht: Canonical haben dafür den Support zahlreicher anderer Distributionen gewonnen, von Debian über Arch bis zu Fedora und Gentoo würde Snappy künftig unterstützt. Eine Nachricht, die in der gewohnt konfliktfreudigen Linux-Welt zu gut klingt, um wahr zu sein – und genau das ist sie dann auch. Die Nachrichten entspringen nämlich einem reichlich kreativen Spin der Canonical-Marketingabteilung.

"Zusammenarbeit"

Die behauptete Zusammenarbeit mit anderen Distributionen rund um Snappy ist in Wirklichkeit eine reine Canonical-Initiative. Die Entwickler des Softwareherstellers haben Snappy-Pakete für zahlreiche Distributionen geschnürt, und dort eingereicht – so wie es jeder andere auch kann. Dies als offizielle Unterstützung zu werten, erscheint aber zumindest als "gewagt", zumal einige der angesprochenen Anbieter ganz anderes im Sinn haben.

Flatpak

Bei Fedora und Co. arbeitet man derzeit nämlich an einem eigenen App-System namens Flatpak. Die Ziele sind dabei ähnliche: Es geht darum ein distributionsübergreifendes Format zu schaffen, das Programmentwicklern die Arbeit massiv vereinfachen soll. Können dies dann doch ein Paket anbieten, das überall funktionieren soll, unabhängig von Distribution und deren Version.

Dass sich nicht alle hinter das selbe Projekt stellen, hat einen einfachen Grund, und der ist de fakto eine Neuaufführung frühere Konflikte zwischen Canonical und dem Rest der Linux-Welt. Snappy unterliegt jenem Copyright Licence Agreement (CLA), mit dem sich Canonical exklusive Rechte zusichert, und das alle Entwickler vor einer Teilnahme am Projekt unterschreiben müssen. In der Vergangenheit hat dies dazu geführt, dass praktisch alle von Canonical gestarteten Projekt keinerlei relevante Beteiligung jenseits von Ubuntu gefunden haben, da andere Softwarehersteller nicht bereit sind, sich auf eine solch ungleiche Form der Zusammenarbeit einzulassen.

Scharfe Kritik

In einem Blog-Eintrag wirft Red-Hat-Mitarbeiter Adam Williamson aber auch darüberhinaus gehend bewusste Irreführung vor. So preist Canonical etwa den Umstand, dass Snappy-Pakete vom restlichen System isoliert laufen, als zentralen Vorteil heraus, immerhin verbessere dies die Programmsicherheit massiv. Tatsächlich ist dies im Snappy-Konzepte – ebenso wie bei Flatpak – so vorgesehen, das Problem dabei: Im Moment ist dies bloße Zukunftsmusik. Dafür müssten sich die Distributionen nämlich zunächst mal vom X-Server verabschieden, denn mit diesem ist einen Isolierung grafischer Anwendungen gar nicht möglich. Der Wechsel auf Wayland – oder bei Canonical Mir – wird aber selbst noch einiges an Entwicklungsaufwand benötigen.

Die Realität sei, dass sowohl Snappy als auch Flatpak derzeit im besten Fall Alpha-Qualität haben, und noch weit von einer Alltagsnutzung entfernt seien, fasst denn auch Williamson den aktuellen Zustand zusammen. Doch anstatt dies offen auszusprechen, laufe Canonical herum, und stelle die Behauptung auf, dass Snappy umgehend klassische Konzept wie APT oder RPM ersetzen könne.

Server-Problem

Parallel dazu gibt es übrigens noch einen zweiten Kritikpunkt an Snappy: Der serverseitige Code ist bislang Closed Source. Insofern kann derzeit nur Canonical selbst einen App Store mit Snappy-Anwendungen aufbauen.

Zusammenraufen

Welches System sich schlussendlich durchsetzen wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen, klar ist momentan eigentlich nur eines: Die Auseinandersetzungen zwischen Canonical und dem Rest der Linux-Welt werden perpetuiert, und schaden so dem Fortkommen von Linux als Anwendungsplattform. Insofern bleibt zu hoffen, dass sich alle Beteiligten doch noch auf einen gemeinsamen Weg einigen können. (Andreas Proschofsky, 19.6.2016)