Wien – Der 27-jährige deutsche IS-Aussteiger Harry S. erhebt schwere Vorwürfe gegen den österreichischen Jihadisten Mohamed M. Unter dessen Führung seien bei einem Videodreh in der syrischen Stadt Palmyra neun Menschen erschossen worden, sagte S. in einem Interview mit Radio Bremen, aus dem der "Kurier" am Dienstag zitierte.

Das Video aus Palmyra wurde Anfang August veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie M. einen vor ihm knienden Mann erschießt, der deutsche Jihadist Yamin A. einen zweiten. Der Verfassungsschutz geht von der Echtheit des Videos aus, gegen M. wird daher in Österreich wegen Mordes ermittelt. Immer wieder kamen zuletzt aber Zweifel auf, ob der 31-Jährige überhaupt noch am Leben ist.

Prozess gegen Aussteiger in Bremen beginnt

Zu Radio Bremen sagte S., der nach eigenen Angaben in dem Video nur die Rolle eines "Fahnenträgers" hatte, am Rande des Drehs seien sieben weitere Menschen erschossen worden. Er selbst sei danach so angewidert gewesen, dass er sich entschloss, vom "Islamischen Staat" zu fliehen. Bei seiner Rückkehr nach Bremen wurde er im Juli 2015 verhaftet, am Mittwoch beginnt vor dem Oberlandesgericht Hamburg der Prozess wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Europäische Jihadisten sollen in Heimatländern kämpfen

Dem IS liegt nach Angaben von S. mittlerweile nicht mehr viel an der Unterstützung durch europäische Jihadisten im Irak und in Syrien: "Europäer sind nicht mehr so gerne gesehen, weil sie den Jihad in den Ländern, wo sie herkommen, fortführen sollen." Der Erfahrungsbericht deckt sich mit der Einschätzung von Terrorexperten, dass die "dritte Welle" des Jihads vor allem auf ein dezentralisiertes Netzwerk und Anschläge von Einzeltätern in Europa setzt. Nach dieser Logik handelte zuletzt jener Jihadist, der im Namen des IS einen Polizisten und dessen Frau in einer Kleinstadt nahe Paris ermordete.

Gleich nach seiner Ankunft in der syrischen IS-Hochburg Raqqa habe ihn der dortige Geheimdienst gefragt, ob er bereit sei, für Anschläge nach Deutschland zurückzukehren, sagt S. Weil er das verneint habe, sei er in eine "Spezialeinheit" für "tödliche Einsätze" hinter den feindlichen Linien gekommen.

Angesichts seiner dortigen Erlebnisse zeigt S. sich gegenüber Radio Bremen geläutert. "Ich habe nichts Göttliches oder Paradiesisches daran gesehen, als die Menschen erschossen worden sind." Deshalb wolle er nun "öffentlich darüber sprechen, was ich erlebt habe". (APA, 20.6.2016)