SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler kann sich vorstellen, die SPÖ-Basis über das nächste Koalitionsabkommen abstimmen zu lassen.

Foto: Der Standard/Urban

"Eine Verordnung in Kraft treten zu lassen, bevor es notwendig ist, bringt nichts", sagt Niedermühlbichler.

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Im Gegensatz zu Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hält es der neue SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler nicht für nötig, bereits vor Erreichen des Richtwertes von 37.500 Asylanträgen eine Asyl-Notverordnung in Kraft zu setzen. Mit dieser wäre eine drastische Einschränkung des Zugangs zu Asylverfahren verbunden. "Eine Verordnung in Kraft treten zu lassen, bevor es notwendig ist, bringt nichts", sagt Niedermühlbichler nun im Interview mit dem STANDARD. Das sei auch beim Asylgipfel im Jänner so vereinbart worden. "Ich verlange von einem Vertragspartner Vertragstreue." Kritik übt Niedermühlbichler an Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP).

STANDARD: Der klassische SPÖ-Wähler ist über 50, weiblich und Pensionistin, der klassische blaue Wähler ist unter 30, männlich und frustriert: Wie können Sie ihn überzeugen, SPÖ zu wählen?

Niedermühlbichler: Die Analyse stimmt nicht ganz, auch wir haben viele junge Wähler. Der klassische FPÖ-Wähler ist männlich und zwischen 30 und 50. Es stimmt nicht, dass Menschen, denen es schlechtgeht, blau wählen. Es sind Menschen mit Angst vor der Zukunft, die nicht glauben, dass es für sie oder ihre Kinder besser wird, sie kann die FPÖ gewinnen. Optimisten, die auch wissen, dass es schwierigere Zeiten gibt, kann die SPÖ erreichen.

STANDARD:Genügt ein optimistischer Kanzler, um jemanden mit Abstiegsängsten zu überzeugen?

Niedermühlbichler: Das ist viel Arbeit, aber man muss den Grundoptimismus schüren. Es geht Österreich gar nicht so schlecht, wie immer behauptet wird. Dennoch muss man klarmachen, dass noch viel zu tun ist. Wenn wir jetzt merken, dass die Konjunktur leicht anzieht, müssen wir das Konjunkturpflänzchen düngen, damit es schneller wächst. Dadurch schaffen wir Beschäftigung, und der Optimismus kommt wieder. Das Hetzen der FPÖ gegen Minderheiten bringt uns nicht weiter. Das trägt nur zur negativen Stimmung bei.

STANDARD: Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl ist offenbar nicht optimistisch, er geht von Neuwahlen aus.

Niedermühlbichler: Niessl hat nichts anderes gesagt, als dass wir uns eine Vorgangsweise der ÖVP wie bei der Wahl zur Rechnungshofpräsidentin nicht mehr lange gefallen lassen dürfen – das werden wir auch nicht. Das war kein Ruhmesblatt. Es gibt aber größere Katastrophen, denn wir haben dort nun eine kompetente Frau an der Spitze. Ich glaube aber, dass sich die vernünftigen Kräfte in der ÖVP durchsetzen werden.

STANDARD: Niessls Analyse ist also richtig, dass die ÖVP solche Aktionen besser nicht öfters liefern sollte?

Niedermühlbichler: Selbstverständlich, das haben wir auch klar gesagt. Die Rechnungshofgeschichte ist jetzt abgehakt. Da hat es aber auch innerhalb der ÖVP ein Donnerwetter gegeben, der Großteil ist an einer guten Zusammenarbeit interessiert.

STANDARD: Abgesehen vom Rechnungshof gibt es auch beim Asylthema inhaltliche Debatten: Der ÖVP und SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil kann es mit der Notverordnung nicht schnell genug gehen. Sie haben gesagt, man soll keinen Notstand herbeireden. Wie passt das zusammen?

Niedermühlbichler: Es gibt keine unterschiedliche Auffassung. Wir müssen uns um die kümmern, die hier sind. Es ist auch die Pflicht eines Staates, alle Asylwerber zu registrieren. Wer einen negativen Asylbescheid hat, muss außer Landes gebracht werden.

STANDARD: Das ist unumstritten. Strittig ist, wann es die Notverordnung braucht.

Niedermühlbichler: Die Verordnung ist dann notwendig, wenn der Richtwert von 37.500 erreicht wird, dann sind die Maßnahmen zu setzen. Das ist im Asylpapier so vereinbart. Eine Verordnung in Kraft treten zu lassen, bevor es notwendig ist, bringt nichts.

STANDARD: Der Innenminister sagt aber, dass es einen Puffer braucht.

Niedermühlbichler: Es steht aber so im Asylpapier, das von der Regierung, den Landeshauptleuten und den Gemeinden unterschrieben wurde. Ich verlange von einem Vertragspartner Vertragstreue.

STANDARD: Was bedeutet das?

Niedermühlbichler: Zunächst muss das Innenministerium das Schlepperunwesen in den Griff bekommen. Warum werden die Menschen mit negativem Asylbescheid nicht zurückgeführt? Ich höre, dass andere europäische Staaten mehr Rückführungsabkommen haben als Österreich. Da sind Innen- und Außenminister gefordert, die Abkommen auf Schiene zu bringen. Diese Aufgaben betreffen kein rotes Ressort.

STANDARD: Zu Sebastian Kurz: Außer blöd reden habe dieser noch nicht viel zusammengebracht, haben Sie im Vorjahr gemeint. Ist die Analyse noch aktuell?

Niedermühlbichler: Das war eine zugespitzte Aussage. Was er bisher weitergebracht hat, erschließt sich mir aber noch immer nicht. Aber vielleicht kann Kurz einmal berichten, wie viele Abkommen er seitdem zustande gebracht hat, wieweit er mit den Nachbarländern Gespräche geführt hat und wieweit er seinen positiven Beitrag bereits geleistet hat.

STANDARD: Ihre Begeisterung hält sich also noch immer in Grenzen?

Niedermühlbichler: Es geht nicht um Begeisterung. Ich bin ein Freund dessen, dass jeder seine Arbeit macht. Es ist nicht fair, immer nur die anderen zu kritisieren. Vorher sollte man vor der eigenen Tür kehren und sich fragen: Habe ich meinen Beitrag zu 100 Prozent geleistet? Sebastian Kurz ist nicht nur Außenminister, sondern auch Integrationsminister. Da ist mit dem Integrationspaket schon ein erster Schritt getan, aber er hat noch einiges zu tun.

STANDARD: Als neuer Geschäftsführer müssen Sie die nächste Wahl vorbereiten. Könnten Sie sich vorstellen, dass die Basis über ein Koalitionsabkommen abstimmt?

Niedermühlbichler: Ja, aber zuerst muss definiert werden, wie diese Abstimmung ablaufen kann.

STANDARD: Ich brauche ja nur zu sagen: Alle Parteimitglieder dürfen zum Stichtag X über das Abkommen abstimmen.

Niedermühlbichler: Einfach einen 200 Seiten starken Koalitionsvertrag online zu stellen und zu fragen: "Bist du dafür oder dagegen?", halte ich für zu kurz gegriffen.

STANDARD: Was wäre denkbar?

Niedermühlbichler: Man kann Erklärungen dazu liefern, Diskussionen im Vorfeld abhalten, den Mitgliedern vielleicht nicht das ganze Abkommen, sondern nur Teile vorlegen, die sie besonders interessieren. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es soll keine Pseudoabstimmung werden, dafür sind mir die Mitglieder zu wichtig.

STANDARD: Wie viele Prozent macht der Parteichef auf dem Parteitag?

Niedermühlbichler: Es wird sicher ein gutes Ergebnis werden. Aber das ist für mich nie wichtig gewesen: Entscheidend ist, dass jeder zu dem steht, was er sagt. Da kann es auch einmal sein, dass jemand ein nicht so gutes Ergebnis hat, weil er unpopuläre Maßnahmen gefordert hat.

STANDARD: Ist das schon das Vorbauen, falls Verteidigungsminister Doskozil bei der Wahl zum Vizeparteichef nicht gut abschneidet?

Niedermühlbichler: Das ist kein Vorbauen. Wir haben mehr als 600 Delegierte. Wenn 70 oder 80 meinen, die Linie gefällt ihnen nicht, dann ist man halt schnell unter 90 Prozent. Wichtig ist, dass niemand vor dem Parteitag in die Knie geht und die eigenen Grundsätze verrät. Da ist es gescheiter: weniger Zustimmung, aber dafür zur eigenen Linie stehen. (Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, 22.6.2016)