Fettarm allein ist kein Garant für gesund Ernährung, betonen Ernährungswissenschafter.

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Barcelona – Die typische Empfehlung, um Adipositas vorzubeugen oder zu behandeln, lautet: weniger fettreiche Ernährung und mehr körperliche Aktivität. Viele Gesundheitsorganisationen – einschließlich der WHO – empfehlen einen Grenzwert von 30 Prozent Fett für die Gesamtenergiezufuhr. Das klingt zunächst plausibel.

Laut Ramón Estruch vom biomedizinischen Forschungszentrum für die Physiopathologie von Adipositas und Ernährung (CIBEROBN) in Barcelona ist eine solche Fettrestriktion nicht zielführend: "Mehr als vierzig Jahre lang hat sich die Ernährungspolitik für eine fettarme Ernährung ausgesprochen, aber wir sehen nur geringe Auswirkungen auf die steigenden Raten von Adipositas."

Obwohl etwa in den USA weniger Fett konsumiert wird, steigt die Anzahl der Menschen die von extremen Übergewicht bzw. Diabetes Typ 2 betroffen sind. "Dies könnte die Folge einer Angst vor fettreichen Lebensmitteln sein, bei der alle Arten von Fett als ungesund wahrgenommen werden", wie Ernährungswissenschafter Estruch betont. Dabei häufen sich wissenschaftliche Hinweise darauf, dass zwischen gesünderen Fetten – etwa aus Nüssen, Fisch und phenolreichen Pflanzenölen – und Fetten aus Fleisch und verarbeiteten Lebensmitteln unterschieden werde müsse.

Fett ist nicht gleich Fett

Studien zeigten, dass die sogenannte Mittelmeer-Diät, die ein hohes Maß an pflanzlichen Fetten beinhaltet, mit einer verringerten Anzahl an Todesfällen über einen bestimmten Zeitraum hinweg sowie mit weniger Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen korreliert. Der Gesamtfettgehalt dürfte daher kein sinnvolles Maß dafür sein, wie gesund ein Nahrungsmittel ist, so das Fazit der Untersuchungen.

In die Reihe dieser Forschungsergebnisse stellt sich auch die aktuelle Studie von Ramón Estruch und seinem Forscherteam, die in elf spanischen Krankenhäusern in den Jahren 2003 bis 2010 durchgeführt wurde. Dafür wurden 7.447 Probanden zwischen 55 und 80 Jahren, die Typ-2-Diabetes oder ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen hatten, ausgewählt. 90 Prozent von ihnen waren übergewichtig oder adipös. Die Probanden wurden dabei zufällig einer von drei Gruppen mit unterschiedlichen Diätvorgaben zugeteilt.

Geringe Auswirkungen auf das Gewicht

Zwei Gruppen sollten sich in den nächsten Jahren ohne Kalorieneinschränkung typisch mediterran ernähren – eine Gruppe mit viel Olivenöl, die andere mit einer relativ großen Menge an Nüssen. Dafür erhielten die Teilnehmer pro Haushalt entweder einen Liter natives Olivenöl wöchentlich oder 30 Gramm Walnüsse, Mandeln und Haselnüsse pro Tag. Der Kontrollgruppe wurde hingegen empfohlen, möglichst jede Form von Fett zu vermeiden. Die Ernährungswissenschafter gaben den Teilnehmern personalisierte Diätempfehlungen, rieten aber weder zu vermehrter körperlicher Aktivität noch zur Einschränkung der Energiezufuhr. Ob sich die Teilnehmer an ihre jeweilige Diät hielten, wurde durch Fragebögen sowie durch Blut- und Urinproben überprüft.

Nach fünf Jahren wurden die Veränderungen im Vergleich zum Studienbeginn gemessen. Bei der fettarmen Diät war erwartungsgemäß die Gesamtfettaufnahme zurückgegangen (durchschnittlich von 40 auf 37,4 Prozent). In der Gruppe mit mediterraner Kost stieg der Fettanteil um 1,8 Prozent, während der Energiezufuhr durch Eiweiß und Kohlenhydrate dementsprechend gesunken ist. Im Mittel verloren die Teilnehmer aller Gruppen etwas an Gewicht – der "größte" Effekt war in der Gruppe mit olivenölreicher Ernährung zu beobachten (0,88 Kilogramm), gefolgt von 0,6 und 0,4 Kilogramm Gewichtsreduktion in der Low-Fat- und der Nuss-Gruppe. Im Taillenumfang hatten die Probanden leicht zugelegt – vor allem bei der fettarmen Diät, in der ein Plus von durchschnittlich 1,2 Zentimetern verzeichnet wurde, im Vergleich zu 0,85 und 0,37 Zentimetern bei Öl und Nüssen.

Angst vor jeglichen Fetten

"Unsere Studie zeigt, dass eine mediterrane Ernährung nur geringe Auswirkungen auf das Körpergewicht oder den Taillenumfang hat, vor allem im Vergleich zur fettarmen Diät", sagt Hauptautor Estruch. Eine Mittelmeer-Diät habe allerdings bekannte Vorteile für die Gesundheit und enthalte in ihren typischen Lebensmitteln vor allem gesunde Fette. Die derzeitigen Gesundheitsrichtlinien, die eine fett- und kalorienarme Ernährung propagieren, sorgen jedoch für eine unnötige Angst vor gesunden Fetten, die der Gesundheit zuträglich sind, schreibt das Forscherteam in der Fachzeitschrift "The Lancet Diabetes & Endocrinology".

Kritik an fettarmen Produkten

Eine ähnliche Meinung vertritt auch Dariush Mozaffarian, Dekan der Friedman School of Nutrition Science and Policy der Tufts University in Boston, Massachusetts, der einen Kommentar zur Studie verfasste: "Wir müssen den Mythos aufgeben, dass Produkte mit weniger Fett und weniger Kalorien zu weniger Gewicht führen."

Bereits bei der Prävention von Herzkrankheiten habe man sich auf die gesamte Fettmasse fokussiert und übersehen, dass spezifische Fettsäuren verschiedene Konsequenzen haben, schreibt Mozaffarian. Dies führe zu paradoxen Grundsätzen, so der Ernährungsexperte: "Lebensmittelhersteller, Einzelhändler und Restaurants werden dazu gebracht, gesunde, aus Pflanzen gewonnene Fette aus Speisen und Produkten zu entfernen und stattdessen kräftig Werbung für fettreduzierte Produkte mit dubiosem Gesundheitswert zu machen."

Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse betonen, dass eine Kalorienaufnahme durch Obst, Nüsse, Gemüse, Bohnen, Fisch, Jogurt, pflanzliche Öle und minimal verarbeitete Vollkornprodukte gesund sei. Im Gegensatz dazu werde versucht, Kalorien durch stark verarbeitete Lebensmittel zu reduzieren, die reich an Stärke, Zucker, Salz oder Trans-Fetten sind, kritisiert Mozaffarian. (sica, 1.7.2016)