Der Österreicher Hans-Dieter Pötsch, Chef des Aufsichtsrates, stand bei der Hauptversammlung von Volkswagen im Mittelpunkt der Kritik. Er war in jener Zeit, in der die Manipulationen an Dieselmotoren erfolgten, Finanzvorstand des VW-Konzerns.

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Hannover/Berlin – Der Tenor dieses ersten Aktionärstreffens seit Bekanntwerden der Manipulationen wird schon vor der Messehalle in Hannover deutlich. "Keine Entlastung für Umweltverbrecher! Die Verantwortlichen und Profiteure sollen zahlen", steht auf einem Transparent, das Demonstranten hochhalten.

Rund 3000 Aktionäre wollen in die Halle, mehr als sonst bei einer Hauptversammlung. Drinnen schaut es diesmal ebenfalls ein wenig anders aus. Nur ein Fahrzeug pro Marke wird ausgestellt. Bisher zeigte der Konzern bei Hauptversammlungen gerne viel mehr an Blech und Elektronik.

Demonstrierte Bescheidenheit

Aber auch dieses reduzierte Angebot soll die neue Bescheidenheit in Wolfsburg demonstrieren. Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch weiß natürlich, was von ihm erwartet wird. Er spricht als Erster, begrüßt die Gäste und kommt sofort auf die Manipulationen bei Dieselmotoren zu sprechen. "Wir bedauern, dass die Dieselthematik auf dieses großartige Unternehmen einen Schatten wirft. Ich möchte mich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass wir Ihr Vertrauen enttäuscht haben", sagt der Österreicher, der während der fraglichen Zeit Finanzvorstand von Volkswagen war.

Eigentlich hätte er den verärgerten Aktionären etwas mitbringen wollen: den Zwischenbericht zur Schuldfrage, den VW ursprünglich für April in Aussicht gestellt hatte. Doch er liegt immer noch nicht vor, da sich die Einigung mit den US-Behörden hinzieht.

Also spricht Pötsch ein weiteres unangenehmes Thema an: Die Boni für die Vorstände. Pötsch verteidigt sie und erklärt, die meisten Vorstandsmitglieder würden um 57 Prozent weniger Geld als im Vorjahr bekommen.

"Nicht hinreichend"

"Mir ist bekannt, dass einige von Ihnen diesen Beitrag der Vorstandsmitglieder für nicht hinreichend halten", sagt er und bekommt dafür einigen Applaus. Gut kommt auch an, als Pötsch ankündigt, bei der Aufarbeitung des Dieselskandals Schadensersatzansprüche gegen ehemalige und amtierende Vorstandsmitglieder prüfen zu wollen – "ohne Ansehen von Personen". Auch Vorstandschef Matthias Müller bittet die Aktionäre, Volkswagen die Treue zu halten: "Wir stecken noch mitten in der Aufarbeitung der Dieselthematik und müssen dafür große Lasten schultern", sagt er. Und er nennt zwei Beispiele für die neue Kultur der Bescheidenheit, die künftig im Konzern herrschen soll: Der konzerneigene Airbus steht vor dem Verkauf, und die Vorfahrt für Vorstände im Lift der VW-Zentrale in Wolfsburg wurde abgeschafft.

Keine Minute Ruhe mehr

Dann sind endlich die Anteilseigner an der Reihe, jeder bekommt fünf Minuten Redezeit. Kleinaktionäre und Investoren halten mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg. Manfred Klein, Aktionär aus Saarbrücken, geht den Aufsichtsratschef an und erklärt: "Herr Pötsch, Sie haben Ihre Obliegenheitspflichten verletzt. Sie haben hier keine Minute Ruhe mehr." Er will zudem wissen, wie VW auf die Idee gekommen sei, "weltweit zu bescheißen, um ein paar lausige Cent zu sparen".

Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) weist darauf hin, dass die VW-Aktie um 50 Prozent an Wert eingebüßt habe. "Schrumpfende Marktanteile, der Diesel als Mogelpackung – VW steht vor einem Trümmerhaufen", fasst er zusammen.

"Sprachlos und schockiert" ist Gerd Kuhlmeyer, Chef der Gemeinschaft der VW-Belegschaftsaktionäre. Er erklärt, viele ehemalige und aktive VW-Mitarbeiter zu kennen, denen angesichts der Manipulationen "Tränen in den Augen stehen". Hans-Christoph Hirt vom Aktionärsberater Hermes EOS sieht die Bestellung von Pötsch an die Spitze des Aufsichtsrates kritisch, weil Pötsch zuvor ja Finanzvorstand gewesen war. Die Boni für die Vorstände bezeichnet er als "nicht zu rechtfertigende Belohnung für Misserfolg".

Richtig wohltuend für die Chefs nimmt sich hingegen der Beitrag von Hessa Al-Jaber aus, die für den Großaktionär Katar spricht: "Wir sollten die Fähigkeit zur Veränderung nicht anzweifeln." Auch die Familien Piëch und Porsche stützen Müllers Kurs. (Birgit Baumann, 22.6.2016)