Vier Frauen, acht Augen: Die Berliner Filmproduktion Achtaugen ließ sich in der Weiberwirtschaft beraten. Produziert werden Imagefilme und Dokus.

Foto: Weiberwirtschaft

Berlins Weiberwirtschaft duldet nur wenige Männer – "Wir wollen das Kapital der Männer nicht".

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Die Gewerbehöfe in der Anklamer Straße haben insgesamt eine Nutzfläche von 7100 Quadratmetern. Zu DDR-Zeiten war darin der volkseigene Betrieb (VEB) "Berlin Kosmetik" untergebracht, erzeugt wurden damals Lippenstifte.

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Schon die Fassade des Hauses in der Anklamer Straße 38 in Berlins nicht unschicker Mitte ist schön anzusehen. Es leuchtet das Blau wie am Meer, an den Balkonen hängen bunte Blumen. Man oder besser gesagt Frau geht durch einen Gang in den ersten Hof, in großen Töpfen stehen Lavendel und Schleierkraut, auf Holzbänken vor einer Backsteinfassade aus dem 19. Jahrhundert sitzen Frauen bei ihren Meetings.

"Alles ist gepflegt hier, ordentlich und sauber", lobt Gabriela Herwig das Ambiente. Ihre Personal- und Arbeitsvermittlung liegt gleich im ersten Hof im Erdgeschoß, sie schaut auf das buckelige Pflaster und das Grün. "Mir ist auch das Äußere wichtig", sagt sie. Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund, warum Herwig 2012 in die "Weiberwirtschaft" eingezogen ist: "Wenn nur Frauen an einem Ort sind, dann ist die Atmosphäre einfach freundlicher und entspannter, daraus entstehen wieder tolle Ideen."

Ein Drittel Gründerinnen

Damit fasst sie genau den Ursprungsgedanken zusammen, der hinter Europas größtem Gründerinnenzentrum steht. Dieser geht bis ins Jahr 1985 zurück. Damals ließ der Berliner Senat die damals noch junge und neue Gründerszene in Berlin wissenschaftlich untersuchen. Das Resultat: Ein Drittel derer, die ein Unternehmen gründen wollen, sind Frauen. Aber die angebotenen Standorte am Stadtrand mit großen Gewerbe- und Büroeinheiten, dafür ohne Kinderbetreuung und ohne Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr, passen eher zu Männern als zu Frauen.

Das müsste zu ändern sein, dachten sich einige Frauen und begannen zu planen. "Als ich davon erfuhr, habe ich gedacht: Die sind verrückt", erinnert sich Katja von der Bey. Doch die Idee, nur von Frauen für Frauen Geld zu sammeln und zu investieren, überzeugte die promovierte Kunsthistorikerin und Fundraising-Managerin, die heute Geschäftsführerin der Weiberwirtschaft ist und im Vorstand sitzt.

Volkseigener Betrieb für Kosmetik

Nach der Wende erwarben die Frauen von der Treuhand für umgerechnet 18,6 Millionen Euro die Gewerbehöfe in der Anklamer Straße, die insgesamt eine Nutzfläche von 7100 Quadratmetern haben. Zu DDR-Zeiten war darin der volkseigene Betrieb (VEB) "Berlin Kosmetik" untergebracht, erzeugt wurden damals – ausgerechnet – Lippenstifte.

Sanierung, Umbau und teilweise Neukonzeption nahmen noch einige Jahre in Anspruch, aber 1996 konnten die ersten Mieterinnen einziehen. An der Grundidee hat sich bis heute nichts geändert: Die Weiberwirtschaft ist ein Projekt der mittlerweile 1850 Frauen, die in die Genossenschaft eingetreten sind, einige davon sind auch in Österreich daheim. Ein Genossenschaftsanteil kostet 103 Euro, die meisten Frauen haben vier Anteile, es gibt aber auch einen mit 150. Männer dürfen keine Anteile erwerben. Warum das so ist, erklärt von der Bey so: "Unsere feministische Sicht ist ganz klar: Wir wollen das Kapital der Männer nicht, weil sie uns dann auch nichts dreinreden können."

Mieter der 65 Mietparteien dürfen auch keine Männer sein. Aber immerhin: Da Frauen die Chefinnen sind, können Männer angestellt werden. Aber bitte nicht in zu großer Zahl. "Mehr als ein Drittel sollen es nicht sein", sagt von der Bey. Die Gefahr der Dominanz besteht ohnehin nicht. Derzeit arbeiten rund 160 Menschen in der Weiberwirtschaft, nur zwölf davon sind männlich.

Lesben und Grabsteine

Die Chefinnen kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Es gibt unter anderem eine Buchhandlung, eine Gesundheitspraxis, eine Glaserei, eine Finanzberatung, eine logopädische Praxis, Steuerberaterinnen, Rechtsanwältinnen, eine Osteopathin, auch der Juristinnenbund und das Lesbenarchiv haben ihre Büros in den Gewerbehöfen, eine Bildhauerin gestaltet Grabsteine. Im vorderen Teil des Areals gibt es Wohnungen für die Frauen, ganz hinten, im ruhigsten Teil, ist ein Kindergarten untergebracht.

Über mangelnden Andrang können sich die "Weiber" nicht beschweren. "Unsere Warteliste ist lang", sagt von der Bey. Wer ein Büro oder Gewerberäume mieten möchte, muss zunächst vor einem Gremium eine Präsentation absolvieren und einen Businessplan vorlegen. Bei Bedarf gibt es Beratung, die Frauen bekommen auch Hilfe bei der Kreditvermittlung.

Es geht um Geschäfte

Schließlich geht es hier nicht um Hobbys oder reine Selbstverwirklichung, sondern um Geschäfte. "Der Businessplan muss schon stimmen", meint von der Bey. Anfangs wurden die Frauen vor allem von Männern belächelt, zumal die "Weiber" auch noch auf ein Ökokonzept samt eigenem Blockheizkraftwerk setzten und überhaupt für die ersten nach ökologischen Kriterien sanierten Gewerbehöfe in Berlin sorgten.

Heute sind die Energiekosten viel niedriger als bei anderen, und die Spötter sind verstummt. "Haha, Weiberwirtschaft, das ist wohl eine Kneipe für Frauen" – derlei Sprüche sind nicht mehr zu hören. Und so tragen die Genossinnen auch ihren Namen mit Stolz. Irgendwann, als die härtesten Jahre vorbei waren, stand eine Umbenennung im Raum, man dachte an Women's Business Center Berlin-Mitte. Aber das fanden die Frauen dann viel zu langweilig und bleiben lieber bei der ursprünglichen Bezeichnung. (Birgit Baumann, 26.6.2016)