Gibt es "richtiges Spenden"? Adriano Mannino über effektiven Altruismus, Claus Lamm (Uni Wien) und Reinhard Millner (WU Wien) mit interdisziplinären Einschätzungen. Madlen Stottmeyer moderierte.

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Effektiver Altruismus wird als Philosophie und soziale Bewegung verstanden. Ziel ist es, Zeit und Geld optimal einzusetzen, um das Leben möglichst vieler Menschen umfassend zu verbessern. Wichtig ist dabei der auf Evidenz basierende Ansatz.

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Einer der Vordenker des Effektiven Altruismus erklärt das Warum und Wie: Peter Singer im TED-Talk.

TED

Jeden Tag sterben 20.000 Kinder an den Folgen von Armut, 795 Millionen Menschen auf der Welt haben nicht genug zu essen – an diesen Ungerechtigkeiten haben auch Jahrzehnte von Entwicklungszusammenarbeit, trotz vereinzelten Rückgangs und wichtiger Meilensteine in einzelnen Punkten, nichts ändern können. Daher gibt es schon lange Stimmen, die für ein Ende der klassischen Entwicklungshilfe plädieren – die lauteste unter ihnen war Dambisa Moyo mit ihrem Bestseller Dead Aid. Die Ansichten der Effektiven Altruisten stehen diesen Aufrufen diametral entgegen. Sie wollen mehr Spenden, mehr Hilfe – und zwar gezielte. Mit wissenschaftlichen Methoden will die Bewegung die effektivsten Projekte und die besten Strategien finden – wo jeder gespendete Euro ein Vielfaches bewirken kann (siehe unten).

Wirklich etwas verändern

Die Effektiven Altruisten scheuen nicht vor Pathos zurück, das wird gleich zu Beginn der Diskussion mit dem Titel "Mit Wissenschaft und Spenden die Welt verändern?" deutlich. Die Gruppe entschied sich für den Figaro-Saal des Wiener Palais Palffy – "hier hat Mozart Geschichte geschrieben, und das wollen wir mit unserer Idee auch tun", heißt es zur Begrüßung. Das Publikum ist bunt, viele Studierende sind gekommen, aber auch Pensionisten, die die Bewegung und die Idee dahinter kennenlernen wollen.

Zehn Prozent des Gehalts spenden

"Wir wollen die soziale Norm etablieren, zehn Prozent des Gehalts zu spenden", sagt Adriano Mannino, Philosoph und Präsident der Stiftung für Effektiven Altruismus, gleich zu Beginn. Man könne aber auch das Berufsleben allgemein so ausrichten, dass der Social Impact so hoch wie möglich ist, deswegen würde man auch auf Berufsberatung setzen. Am wichtigsten ist aber die Frage, wohin Zeit und Geld fließen – hier spricht Mannino von "Kosteneffektivität": Weil in Entwicklungsländern in manchen Gebieten selbst sehr grundlegende medizinische Versorgung fehlt, können Hilfsorganisationen dort für die gleiche Menge an Geld viel mehr bewirken als in Industrieländern, so die Logik.

Hier beginnt sich das Publikum das erste Mal zu fragen: Ist es überhaupt möglich, Hilfe und Engagement einer Logik zu unterstellen? Und weshalb ein Manifest, das sich hauptsächlich dem "Feuerlöschen" widmet? Ein Zuhörer wird es später so formulieren: "Angenommen, Effektiver Altruismus ist die beste Möglichkeit, ein brennendes Haus zu löschen. Sollte man nicht besser nach der Brandursache fragen?"

Qualität und Quantität

Auch die beiden anderen Podiumsgäste formulieren im Laufe des Abends Zweifel und Zwischenfragen, die Bewegung würde aber interessante Fragen aufwerfen. Es sei jedenfalls eine Unterstellung, grundsätzlich davon auszugehen, dass Non-Profit-Organisationen (NPO) nicht mit Geld umgehen könnten – bei vielen sei das aber noch in den Köpfen, sagt Reinhard Millner, Bereichsleiter und Senior Researcher am Kompetenzzentrum für Non-Profit-Organisationen und Social Entrepreneurship der Wirtschaftsuni Wien. Dass die Legitimation immer wichtiger werde, sei aber ein gutes Zeichen. Die Frage, was Qualität eigentlich heiße, sei auch aus den Augen eines Wissenschafters schwierig, der sich täglich mit Spenden-, Freiwilligen-, und Stiftungsforschung auseinandersetzt.

Qualität sei es beispielsweise, ins Fundraising zu spenden, antwortet Mannino, weil man dort genau sehen könne, dass jeder investierte Euro ein Vielfaches mehr einbringe. Aber natürlich gehe es auch um Quantität: "Beispiel Malaria: Hier kann man mit durchschnittlich drei Dollar ein Menschenleben retten. Bei der Krankheit ALS, die durch die Ice Bucket Challenge bekannt wurde, braucht es viel mehr."

Gibt es Altruismus?

Mit der Ökonomisierung des Altruismus tue er sich grundsätzlich schwer, wirft Claus Lamm, Professor für biologische Psychologie an der Uni Wien, ein. Der Neurowissenschafter untersucht unter anderem die Empathiefähigkeit von Menschen. Dass diese vorhanden ist, müsse nicht immer etwas Gutes heißen. "Das Grundproblem ist, dass ein statusorientierter Spender wegfällt, wenn die Spende seinen Status nicht mehr erhöht." Da seien ihm echte Altruisten lieber, allerdings müsse man immer mitdenken, dass das Verhalten allein noch nichts über die Intention aussage.

Dazu meldet sich ein Zuhörer: "Altruismus gibt es nicht", ruft er. Er habe das bei der Freiwilligenarbeit selbst erlebt, die Motive seien Vergünstigungen oder Struktur im Tagesablauf. Die Gastgeber sind natürlich anderer Meinung. Letzten Endes gehe es aber darum, sich seiner eigenen Motive bewusst zu werden. (Lara Hagen, 25.6.2016)