Wien – Noch ist völlig unklar, wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) über die Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl entscheiden wird. Eines vieler möglichen Szenarien ist, dass der VfGH das Wahlgesetz selbst für verfassungswidrig hält. Um diesen Verdacht zu prüfen, kann er eine Gesetzesprüfung beginnen – und in diesem Fall drückt er im Anfechtungsverfahren die Pause-Taste, bis die Prüfung beendet ist. Anders gesagt: Es gibt dann am 8. Juli keinen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, sondern die drei Nationalratspräsidenten übernehmen einstweilen das Amt in der Hofburg.

Acht Monate

Im Schnitt dauert eine Gesetzesprüfung acht Monate. Zwar ist wahrscheinlich, dass es wegen der Dringlichkeit in diesem Fall rascher gehen würde, trotzdem wäre dann mit einer Entscheidung allerfrühestens im Herbst zu rechnen.

Wie es dann weitergeht, hängt vom Ergebnis der Gesetzesprüfung ab: Ist das Gesetz verfassungswidrig, muss auch der Anfechtung stattgegeben werden. Gibt es keine Einwände gegen das Gesetz, wird das Anfechtungsverfahren verzögert, aber mit offenem Ergebnis fortgesetzt.

Kritik der Bezirke

In den Zeugenaussagen im Beweisverfahren vor dem VfGH äußerten mehrere befragte Mitglieder der Bezirkswahlbehörden die Kritik, das Bundespräsidentenwahlgesetz sei "undurchführbar": Da es ein Wahlkarten-Auszählen am Wahltag verbietet, stünden die Bezirke am Tag nach der Wahl unter umso größerem Zeitdruck, heißt es.

Gut möglich, dass diese Kritik sich auch im Entscheidungstext der Verfassungsrichter wiederfindet – automatisch verfassungswidrig ist das Gesetz deswegen aber noch nicht. Mögliche Gesetzesreparaturen könnten also auch Folge einer Diskussion sein, die durch die VfGH-Entscheidung implizit angeregt werden – ohne Gesetzesprüfung und die sich daraus ergebende zeitliche Verzögerung. (Maria Sterkl, 27.6.2016)