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Viele chinesische Studenten nehmen Kleinkredite auf, um Alltagseinkäufe zu erledigen. Die meisten von ihnen sind Frauen, die besonders skrupellos von Kredithaien zur Rückzahlung erpresst werden.

Foto: REUTERS/Jason Lee

Studentin Li Li (Name von der Redaktion geändert) brauchte dringend 500 Yuan (67 Euro). Sie nahm online einen Kleinkredit auf. Die junge Chinesin registrierte sich auf einer Geldgeberwebseite. Für eine Gebühr von 20 Yuan erhielt sie die Summe, nachdem sie Onlinekopien ihres Personal- und Studentenausweises sowie Angaben über ihre Eltern bereitgestellt hatte. Die in Gelddingen unerfahrene Frau verpflichtete sich, wöchentliche Wucherzinsen von 30 Prozent zu zahlen. Immer wieder musste sie sich Geld zu ähnlichen Bedingungen nachleihen, nur um der Zahlpflicht nachzukommen.

Als sie mit 10.000 Yuan in der Kreide stand, setzten sie die Gläubiger unter Druck. Weiteres Geld würde sie nur bekommen, wenn sie Nacktfotos von sich als Pfand hinterlege. Sie hatte auch ihren Personalausweis mit in die Kamera halten müssen. Die Kredithaie drohten: Falls sie ihre Schulden nicht tilge, würden sie die kompromittierenden Fotos an ihre Eltern schicken und ins Netz stellen. Als Studentin Li vergangene Woche der südchinesischen Metropolzeitung ihre Lage klagte, hatte sie bereits 55.000 Yuan Schulden.

Nur strafbar, wenn veröffentlicht

Die Erpressung mit Nacktfotos ist der jüngste Höhepunkt verrohter Sitten im wild wuchernden Gewerbe chinesischer Geldverleiher. Skrupellos führen sich Kredithaie in den nur auf Einladung offenstehenden QQ-Chaträumen diverser Finanzplattformen auf. Li sagte, sie habe viele Freundinnen in gleicher Lage, die sich schämten, darüber zu reden.

Für die sittenwidrige Nötigung, die nur strafbar ist, wenn die Fotos auch veröffentlicht würden, prägten Chinas Medien die neuen Worte "luotiao", die "Nackedeischuldscheine". Es sei die entwürdigendste Methode der Schuldeneintreiber, schreibt die Metropolzeitung. Die Maßnahmen würden mit Telefonterror und Drohungen anfangen, die Namen im Internet zu veröffentlichen, und reichten bis zu gezieltem Mobbing unter Bekannten, beim Arbeitgeber oder mit Wandzeitungsanschlägen in den Unis.

Kein Einzelphänomen

Am 1. Juni enthüllte ein Online-Finanzkommentator, der sich "Pekings neunter Onkel" nennt, die windigen Kreditgeschäfte. Als eine der beteiligten Plattformen nannte er die Webseite Jiedaibao, die von einer Venture-Capital-Firma gegründet worden war. Neben dem Sturm an Empörung, den sein Blog auslöste, zeigten ihm Zuschriften verschuldeter Mädchen, dass es kein Einzelphänomen war. Bei einigen waren Nacktfotos an die Eltern geschickt worden, mit schockierenden Begleittexten: "Deine Tochter hat dieses Foto als Schuldschein für ein Darlehen von 10.000 Yuan hinterlegt, die sie für eine Abtreibung brauchte, nachdem ihr Freund sie verlassen hatte. Sie hat ihre Zinsen nicht beglichen." Darauf zahlten die meisten Eltern.

Nach einer im Mai auf der Webseite der Volkszeitung veröffentlichten Umfrage unter 2301 Studenten an 19 Schanghaier Hochschulen verschuldeten sich mehr als die Hälfte der Befragten mit Krediten auf Ratenabzahlung – die meisten davon junge Frauen für Alltagseinkäufe. Auch Studenten, die nach Kapital für Start-ups suchen oder Mittelständler, die investieren wollen, fällt es schwer, Darlehen von staatlichen Banken zu erhalten. So ist ein unreguliertes Netzwerk von P2P-(Peer-to- Peer-)Kreditgebern entstanden, die aggressiv um Kunden für ihre Privatdarlehen und Verbraucherkredite werben. Die meisten halten sich an die gesetzlich maxi-mal 24 Prozent Jahreszinsen. Doch die Zahl der schwarzen Schafe steigt.

Umfang und Volumen des P2P-Handels mit Privatdarlehen stiegen 2015 nach Angaben der Shenzhener E-Commerce-Firma Qiancheng im Jahresvergleich um 258 Prozent auf fast 102 Milliarden Yuan (13,7 Milliarden Euro). Einige P2P-Plattformen ließen inzwischen wegen des Medienwirbels auf ihren Plattformen Nacktbilderschuldscheine ächten. (Johnny Erling aus Peking, 25.6.2016)