Irmgard Griss über ihre Gastrede bei den Neos: "Es geht um den Inhalt, und ein Parteitag ist eine gute Bühne, dafür zu werben." Ob sie auch bei anderen Parteitagen sprechen würde? "Ja, natürlich."

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STANDARD: Die Neos haben Ihren Präsidentschaftswahlkampf unterstützt, am Samstag waren Sie Rednerin am Parteitag. Aber für die Partei wollen Sie sich nicht engagieren. Was spricht gegen die Neos?

Griss: Ich engagiere mich für bestimmte Werte, für eine bestimmte neue Politik, und da stimmt vieles mit den Neos überein.

STANDARD: Aber um anzudocken, ist das alles noch zu wenig?

Griss: Ich sehe keinen Grund dafür, bei den Neos anzudocken. Ich bin bei der Bundespräsidentschaftswahl angetreten, weil wir einen neuen politischen Stil brauchen. Das habe ich am Samstag bei den Neos wieder gesagt. Mir geht es nicht um ein bestimmtes Amt, nicht darum, in einer bestimmten Partei zu sein. Ich will jene Menschen ansprechen, die ebenfalls empfinden, dass sich in Österreich etwas verändern muss.

STANDARD: Sie betonen Ihre Unabhängigkeit, treten aber beim Parteitag auf. Wie passt das zusammen?

Griss: Warum nicht? Es geht um den Inhalt, und ein Parteitag ist eine gute Bühne, dafür zu werben. Außerdem spreche ich ja auch bei anderen Veranstaltungen – ob das eine offene Gruppe ist oder ein Pfarrgemeinderat.

STANDARD: Das heißt, Sie würden auch bei einer anderen Partei als Rednerin zur Verfügung stehen?

Griss: Ja, natürlich. Keine Frage.

STANDARD: Statt einer Partei wollen Sie eine zivilgesellschaftliche Initiative gründen. Wo soll sich diese denn engagieren?

Griss: Diese Initiative könnte zum Beispiel Vorschläge in den verschiedensten Bereichen erarbeiten, in denen es dringend eine Umsetzung braucht.

STANDARD: Ein Beispiel?

Griss: Beim Thema Bildung wäre das ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen. Es gibt viele Kinder, die niemanden zu Hause haben, der mit ihnen lernt. Dadurch sind sie benachteiligt. Eine Ganztagsschule mit verschränktem Unterricht würde einen Ausgleich schaffen.

STANDARD: Wie soll man sich diese Initiative vorstellen: Ist das eine Art Thinktank, der an die Politik Reformvorschlägen heranträgt?

Griss: Ja, es könnte eine Art Denkfabrik sein, die gewisse realistische Maßnahmen zusammen- stellt und dabei auch pragma-tisch vorgeht – also nicht belastet durch Ideologien oder durch Rücksicht auf bestimmte Interessengruppen.

STANDARD: Es geht also nicht nur darum, bei Wahlen anzutreten?

Griss: Es sprechen mich zwar viele Menschen darauf an, aber das ist etwas, das man gründlich überlegen und durchdenken muss. Ich will daher auch nicht ausschließen, dass eine Liste daraus entsteht.

STANDARD: Aber aus einer Liste kann schnell eine Partei werden.

Griss: Das sehe ich nicht so. Es ist keinesfalls eine zwingende Entwicklung. Auch rein rechtlich gibt es da ja schon einen Unterschied. Schauen Sie in andere Länder, da gibt es ganz neue Formen politischer Beteiligung, von Bewegungen, die nicht so strukturiert sind wie eine herkömmliche Partei.

STANDARD: Haben Sie ein Vorbild?

Griss: Ich schaue mir in verschiedenen Ländern Beispiele an. Man kann sicher nichts eins zu eins übernehmen, die Verhältnisse sind doch immer etwas anders, wie auch die Mentalität. Aber wertvolle Anregungen bekommt man – nehmen Sie die Bewegungen in Italien oder Spanien.

STANDARD: Gefragt als ehemalige Präsidentschaftskandidatin: Wie sehen Sie das Verfahren des Verfassungsgerichtshofs zur Stichwahl?

Griss: Es ist sehr positiv, dass sich die Verfassungsrichter so intensiv und auch öffentlich damit auseinandersetzen. Aber wir müssen einmal abwarten, welche Feststellungen sie treffen werden.

STANDARD: Sie waren selbst Höchstrichterin: Ihre Einschätzung?

Griss: Das wäre jetzt völlig vermessen und unangebracht.

STANDARD: Es wurde zu früh ausgezählt, nicht immer von der vollständigen Wahlkommission – ist das einfach nur eine österreichische Schlamperei oder mehr?

Griss: Ich kenne nur, was die Medien berichtet haben. Da habe ich jedenfalls nichts gelesen, was darauf hindeutet, dass wirklich manipuliert wurde. Viele haben sich offenbar nicht an Regeln gehalten, weil die Meinung vorgeherrscht hat, diese seien nicht relevant. Grundsätzlich glaube ich, dass dies ein Anstoß sein muss, Vorschriften auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen – als Erstes einmal die Wahlordnung. Wenn ein Gesetz erlassen wird, müsste es eine Art Praxistest geben. Das fehlt. Ich fürchte, dass gewisse Vorschriften am wirklichen Leben vorbeigehen und man vergebens den Sinn sucht. Das soll jetzt die Fälle nicht entschuldigen, aber warum soll erst am Montag ab neun Uhr ausgezählt werden? Ich weiß es nicht.

STANDARD: Wurde die Wahlkommission nicht gut vorbereitet?

Griss: Es gibt Vorschriften, die dem wirklichen Verlauf nicht entsprechen. Was ein gravierendes Versäumnis der Wahlkommissionen ist: Sie hätten bei früheren Wahlen Alarm schlagen müssen. Das wurde offenbar unterlassen.

STANDARD: Hätte man schon die erste Wahl anfechten können, die Wahlzählung wird ja wohl ähnlich abgelaufen sein?

Griss: Das wird bei vielen vorangegangenen Wahlen so gelaufen sein. Es spielen sich Gewohnheiten ein: Wir haben das letzte Mal das auch so gemacht, warum jetzt anders (Peter Mayr, 27.6.2016)