Manuel Rajoy konnte für die Konservativen überraschend mehr Stimmen holen als im Dezember. Er stellt den Regierungsanspruch.

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Podemos-Politiker Íñigo Errejón am Sonntagabend.

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Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias nach der Stimmabgabe.

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"Was ist das? Sind das die Bösen?", fragte der geschäftsführende konservative spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy erschrocken, bevor er in Madrid auf den Balkon der Zentrale seines Partido Popular (PP) trat und sah, dass es seine Anhänger waren, die dort unten auf der Straße "Ja, man kann!" skandierten. Es ist eigentlich der Schlachtruf der Antiausteritätspartei Podemos, mit dem die Anhänger von Rajoys PP ihren Sieg feierten. Eine schwere Etappe sei das gewesen, ließ Rajoy seine Anhänger am Wahlabend wissen. Zwar sind die Konservativen weit von einer absoluten Mehrheit entfernt, die sie bis zu den vergangenen Wahlen am 20. Dezember des Vorjahres hielten, aber bei den vorgezogenen Neuwahlen am Sonntag erzielten sie 33 Prozent. Das sind 4,3 Prozent mehr als vergangenen Dezember. Der PP zieht mit 137 statt wie zuletzt mit 123 Abgeordneten ins 350 Abgeordnete starke Parlament ein. Ein Großteil der Zugewinne geht auf Kosten der Bewegung Ciudadanos. Die rechtsliberale Bewegung war im vergangenen Dezember noch das Sammelbecken enttäuschter PP-Wähler, konnte diese aber bei der Neuwahl nicht halten. Ciudadanos verlor acht von bisher 40 Abgeordneten und liegt bei 13 statt bisher 14 Prozent.

Enttäuschung bei Podemos

"Ja, man kann!", rufen auch vor dem Museum für moderne Kunst tausende Menschen. Die hier versammelten Anhänger von Unidos Podemos – dem Wahlbündnis aus Podemos und der kommunistischen Vereinigten Linken (IU) – hatten nichts zu feiern. Zwar ziehen sie erneut mit 71 Abgeordneten ins Parlament ein. In Umfragen vor dem Wahlabend war noch vorausgesagt worden, das Linksbündnis könnte die Sozialisten überholen und auf Platz zwei landen. Doch daraus wurde nichts. Zwar erzielten die Sozialisten des PSOE mit 22,6 Prozent und 85 Abgeordneten – fünf weniger als bisher – ihr schlechtestes Ergebnis, aber Unidos Podemos konnte daraus keinen Profit schlagen. "Es ist kein befriedigendes Ergebnis", erklärte der 37-jährige Politikprofessor und Unidos-Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias. Was seiner Ansicht nach schiefgelaufen war, darüber gab er in der Wahlnacht keine Auskunft. Unidos Podemos beschränkte sich auf das Abspielen linker Hymnen und darauf, Stärke in der Enttäuschung zu zeigen.

Dass sich der durch Korruptionsskandale angeschlagene konservative PP so deutlich erholen konnte, hatte niemand erwartet. Jetzt suchen alle nach Erklärungen. Rajoys "Strategie, den Wahlkampf zu polarisieren, funktionierte", schreibt beispielsweise El País, die größte Tageszeitung des Landes. Hinzu kam die Unsicherheit durch den Brexit, der den Endspurt des Wahlkampfes überschattete. Die Konservativen konnten ihre Stammwähler mobilisieren wie sonst keine Partei.

Gespaltenes Parlament

Das neue Parlament, das am 19. Juli erstmals zusammentreten wird, ist trotz leichter Verschiebung nach rechts ähnlich gespalten wie das vom 20. Dezember. Weder Rajoy noch der Spitzenkandidat der Sozialisten, Pedro Sánchez, werden sich bei der Mehrheitsbildung leichttun. Rajoy will aber dieses Mal versuchen, eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, um den Haushalt für 2017 zu verabschieden und Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union erfüllen zu können. Rajoy hofft auf die Stimmenthaltung der Sozialisten im zweiten Wahlgang. Noch zieren sich Sánchez und die Seinen allerdings. Sozialisten und Podemos konnten sich trotz monatelanger Verhandlungen nach den Wahlen 2015 nicht auf eine Koalition einigen. Nach der jetzigen Neuwahl hat eine solche Option fünf Abgeordnete weniger und damit kaum eine Chance auf Umsetzung. Bei den Sozialisten verlangt so mancher Regionalfürst und auch der ehemalige Regierungschef Felipe González eine Stimmenthaltung zugunsten des PP. Falls es Rajoy gelingen sollte, Ciudadanos mit an Bord zu holen, würden ihm nur sieben Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen.

"In der zweiten Jahreshälfte, sobald es eine Regierung gibt, sind wir bereit, neue Maßnahmen zu ergreifen", versprach Rajoy in einem Brief an EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker. Rajoys Regierung verfehlte zuletzt das von Brüssel gesteckte Defizitziel deutlich. 2015 lag es bei 5,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) statt der vereinbarten 4,2 Prozent. Will Rajoy wie vereinbart in diesem Jahr das Defizitziel von 2,8 Prozent erreichen, muss er mindestens 20 Milliarden Euro einsparen. Bereits jetzt ist das Gesundheits- und Bildungssystem schwer von Kürzungen betroffen. 23 Prozent der Spanier sind ohne Arbeit. Rund jeder fünfte Spanier lebt an oder unter der Armutsgrenze. (Rainer Wandler aus Madrid, 27.6.2016)