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Ihren Ausweis müssen österreichische Reisende am Londoner Flughafen Heathrow schon jetzt herzeigen. Bei einem Brexit kämen für Unternehmen zusätzliche Schwierigkeiten hinzu.

Foto: APA / EPA / Andrew Cowie

Vielleicht vorweg: Solange der Austritt nicht formell vollzogen ist, ändert sich für österreichische Unternehmen gar nichts. Und auch der tatsächliche Austritt wird die rechtlichen Rahmenverhältnisse nicht über Nacht verändern. Zwar ist Großbritannien dann nicht mehr an Unionsrecht gebunden, die jahrzehntelange EU-Mitgliedschaft hat aber zu einer nachhaltigen Angleichung der Rechtsvorschriften geführt.

Auch die unmittelbar geltenden EU-Verordnungen würde Großbritannien wohl aus Gründen der Rechtssicherheit vorerst eins zu eins in nationales Recht spiegeln.

Den Austritt zu verhandeln ist eine Herkulesaufgabe, durch ein Hinausschieben des offiziellen Starts der Zweijahresfrist wollen die Briten deshalb noch ein paar Monate herausschinden. Ein fristgerechter Abschluss der Verhandlungen gilt in Anbetracht des Verhandlungsumfanges trotzdem als unrealistisch. Eine einvernehmliche Verlängerung der Frist wäre aber möglich, um ein ungeregeltes Ausscheiden zu verhindern.

Wie die zukünftigen Beziehungen aussehen werden, weiß noch niemand. Weder die Vertreter des Brexit-Lagers noch die EU haben Pläne vorgelegt. In Betracht kommen Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wie bei Norwegen, bilaterale Verträge wie mit der Schweiz, eine Zollunion wie mit der Türkei oder eine Freihandelszone wie mit Kanada.

Sollte keine Einigung gelingen, wäre nur noch WTO-Recht anwendbar. Unter anderem wegen der geringen Regelungsdichte – Finanzdienstleistungen sind nicht umfasst – und der schwierigen Durchsetzbarkeit wäre das keine attraktive Variante.

Verträge jetzt überprüfen

Schon jetzt sollten österreichische Unternehmen langfristige Verträge mit britischen Vertragspartnern überprüfen, zum Beispiel in puncto Vertragsauflösung: Mitunter könnte nämlich argumentiert werden, dass ein EU-Austritt eine Kündigung aus wichtigem Grund oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zulässt.

Besondere Aufmerksamkeit empfiehlt sich bei Verträgen, in denen dem Begriff "EU" eine tragende Rolle zukommt, zum Beispiel als Definition des geografischen Geltungsbereiches.

Zu hinterfragen ist, ob man Großbritannien weiterhin als Gerichtsstand vorsehen will: Unionsrecht gewährleistet die rasche Durchsetzbarkeit von Gerichtsentscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten. Ob dies nach einem EU-Austritt auch auf Entscheidungen britischer Gerichte zutrifft, ist ungewiss.

Zudem sollte überprüft werden, wie Änderungen des regulatorischen Umfeldes geregelt sind. Bei Lieferverträgen stellt sich etwa die Frage, wer die Kosten von neuen Einfuhrzöllen trägt. Kreditverträge sehen manchmal vor, dass der Kreditgeber die Kosten regulatorischer Veränderungen auf den Kreditgeber überwälzen kann.

Die Augen offen halten

Abhängig vom zukünftigen Rechtsrahmen drohen bei einem Austritt unzählige weitere Änderungen, deren Folgen Unternehmen im Blick behalten sollten:

Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Wiedereinführung von Handelszöllen. Auch "nicht tarifäre Handelshemmnisse" wie z. B. diskriminierende technische Vorschriften wären schwerer zu bekämpfen ohne die Instrumente des Unionsrechts.

Für den Finanzplatz London und seine vielen österreichischen Kunden besonders bitter wäre der Verlust der sogenannten Passporting-Rechte. Diese ermöglichen Finanzinstituten den Zugang zum Binnenmarkt, sind aber vielfach von einer Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat abhängig. Für Londoner Banken könnte es notwendig werden, allenfalls sogar ganze Betriebsteile in die EU zu verlegen.

Versendungen von Arbeitnehmern nach Großbritannien (und umgekehrt) könnten zukünftig komplizierter werden, denn die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist des Brexit-Lagers größter Feind.

Ungeklärt ist zudem, ob und wie Unionsmarken und -muster künftig geschützt werden. Womöglich müssen diese unionsrechtlich geschützten Rechte nun separat in Großbritannien registriert werden.

Risiko Doppelbestrafung

Im Bereich Wettbewerbs- und Kartellrecht besteht nach dem Austritt das Risiko von kostspieligen Parallelverfahren und Doppelbestrafung. Künftig stünde es den britischen Behörden frei, parallel zur EU zu ermitteln und Strafen zu verhängen. Ähnliche kostenintensive Doppelverfahren drohen im Bereich der Fusionskontrolle.

Staatliche Subventionen an britische Unternehmen unterlägen nicht mehr der Beihilfenkontrolle der EU. Großbritannien hätte nur mehr die weniger strengen WTO-Bestimmungen zu beachten.

Für österreichische Unternehmen gilt daher: die Entwicklungen intensiv verfolgen und sich rechtzeitig wappnen, um Vertragsbeziehungen rasch neu regeln zu können. (Thomas Obersteiner aus London, 27.6.2016)