Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union, der den rechtlichen Rahmen für einen Austritt aus der Europäischen Union vorgibt, umfasst lediglich fünf Punkte und passt auf eine halbe A4-Seite. Interessant dabei ist, dass sich die Verhandlungspartner zwei Jahre für den Austritt Zeit lassen können und außerdem eine Fristverlängerung möglich ist.
Der erste Satz verweist zunächst nur auf das Recht jedes Mitgliedsstaats, aus der Union auszutreten. Der Rest ist relativ vage gehalten, als ob die Verfasser des Artikels einen solchen Fall für unwahrscheinlich und eine präzisere Formulierung deshalb für nicht notwendig empfunden hätten.
Zweijährige Frist
Gemäß Artikel 50 muss also jeder Mitgliedsstaat, der einen Austritt beschließt, dem Europäischen Rat – bestehend aus den Staats- und Regierungschefs der Mitglieder – seine Absicht mitteilen. Ab diesem Zeitpunkt tickt die Uhr, eine zweijährige Frist beginnt zu laufen. Die Staats- und Regierungschefs würden nach Bekanntgabe des Austrittsvorhabens Leitlinien für ein Austrittsabkommen verhandeln. Das Land, das den Austritt wünscht, in diesem Fall also Großbritannien, säße jedoch nicht am Verhandlungstisch.
Der Rat der EU – bestehend aus den Ministern der verbliebenen 27 EU-Länder – muss das Abkommen dann mit einer sogenannten qualifizierten Mehrheit und mit Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen. Die qualifizierte Mehrheit bedeutet in diesem Fall: 72 Prozent der Staaten, die wiederum 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen.
Fristverlängerung möglich
Sollte man sich nach zwei Jahren nicht auf ein Austrittsabkommen geeinigt haben, gelten die EU-Verträge für Großbritannien automatisch nicht mehr. Der EU-Vertrag sieht jedoch vor, dass der Europäische Rat "im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedsstaat einstimmig" beschließen kann, diese Frist zu verlängern.
Am Tag nach dem Brexit-Referendum schien Premier David Cameron jedenfalls nicht in Eile, von Artikel 50 Gebrauch zu machen, obwohl er das vor der Abstimmung angekündigt hatte. In seiner Rücktrittsrede hielt er sogar fest, dass es Aufgabe seines Nachfolgers in der Downing Street 10 sein werde, den Austrittsprozess loszutreten.
Doch nicht nur Cameron, auch Brexit-Befürwörter wie Boris Johnson zeigen sich nach dem Ja der Briten zögerlich. Johnson sieht gar einen Nachteil für Großbritannien darin, zu früh von Artikel 50 Gebrauch zu machen, da man danach von den Verhandlungen ausgeschlossen wäre. Er wünsche sich informelle Treffen, bei denen der Austritt vor dem Formalakt, der in Artikel 50 vorgesehen ist, auch im Interesse Großbritanniens verhandelt wird. Dem steht jedoch der Wunsch der Staats- und Regierungschefs der meisten verbleibenden EU-Länder nach einem zügigen Austritt entgegen, die damit die Gefahr weiterer Referenden eindämmen wollen.
Hoffnung für Brexit-Gegner
Beide Seiten haben aber keine wirksamen rechtlichen Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen. Die EU-Länder könnten die Briten nur mit äußerst drastischen Maßnahmen – mithilfe von Artikel 7 des EU-Vertrags – dazu drängen, ihren Austritt offiziell gemäß Artikel 50 bekanntzugeben. Dieser Artikel 7 ermöglicht den EU-Ländern, ein Mitgliedsland zu suspendieren, sofern es grundlegende Werte der EU wie Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht einhält. Es gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, dass der Artikel zur Anwendung kommen kann und wird.
Auf der anderen Seite kann Großbritannien die verbleibenden Mitgliedsländer nicht dazu zwingen, vor der Bekanntgabe der Austrittsabsicht Verhandlungen zu führen. All diese Unsicherheiten geben den Brexit-Gegnern Hoffnung, dass es schlussendlich doch nicht zu einem Austritt kommt, da das Referendum für die britische Regierung auch nicht rechtlich bindend ist. (moj, 27.6.2016)