Günter Bresnik: "Ich kann mich an kein Training erinnern, das für die Würste war."

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STANDARD: Dominic Thiem muss in der ersten Runde von Wimbledon gegen den Deutschen Florian Mayer spielen. Losglück sieht anders aus. Wie sieht der Trainer die Chancenverteilung?

Bresnik: Dominic hat vergangene Woche gegen Mayer verloren. So einen Gegner wünscht sich niemand zum Auftakt. Die Chancen sind existent, aber Dominic ist nicht Favorit. Wenn er zwei Runden übersteht, bin ich heilfroh.

STANDARD: Ist das nach dem Turniersieg von Stuttgart nicht übertriebenes Understatement?

Bresnik: Ein Turniersieg auf Rasen macht ihn noch nicht zum nächsten Roger Federer. Dieser Belag hat eigene Gesetze. Es stehen einige Spieler hinter ihm, gegen die er sich schwertun würde.

STANDARD: Aber er hat sein Spiel nach Paris schnell auf Rasen umgestellt. Er holt Punkte am Netz, spielt den Volleystopp, packt auch sein Goldhändchen aus.

Bresnik: Dominic hat doch kein Goldhändchen. Er hat ein mächtiges Spiel, lebt von der Power. Auf Rasen kann er am Netz punkten, weil der Ball liegen bleibt, er ist für den Gegner nicht zu erlaufen.

STANDARD: Gut, aber warum gewinnt er nun auch Spiele auf Rasen? Das war bisher die Ausnahme.

Bresnik: Weil er sich auf diesem Belag zum ersten Mal richtig bewegt. Er hat das Gestell tiefer gelegt, die Balance gefunden. Die Beinarbeit passt. Auch Aufschlag und Return sind besser geworden. Das Service ist hier entscheidend. Er arbeitet an sich.

STANDARD: Die "New York Times" sprach kürzlich sogar vom härtesten Arbeiter im Tenniszirkus.

Bresnik: Weil kein anderer in dieser Saison mehr Partien absolviert hat. Um dies zu erreichen, muss man viel gewinnen. Deswegen allein arbeitet man aber nicht härter als ein anderer. Bei Dominic ist es aber tatsächlich so, dass er in den vergangenen zehn Jahren sehr viel in den Sport investiert hat.

STANDARD: Besteht angesichts der dichten Planung nicht die Gefahr von Verschleißerscheinungen?

Bresnik: Ich verstehe die Aufregung nicht. Dominic ist kein Landwirt, der von morgens bis abends Schwerstarbeit verrichtet. Tennis ist seine Leidenschaft.

STANDARD: Aber Profisport ist doch auch Schwerstarbeit?

Bresnik: Schon, aber die Spiele sind weniger anstrengend als das Training. Wenn ich bösartig wäre, könnte ich Dominic unterstellen, dass er lieber spielt als trainiert. In seinem Fall wäre das aber unangebracht. Ich kann mich an kein Training erinnern, das für die Würste war.

STANDARD: Im Vorjahr standen in der Schweiz einige Trainingstage mit Federer an. Wie viel kann man von so einer Audienz mitnehmen?

Bresnik: Die Qualität eines solchen Spielers kann man nicht simulieren. Da ist jede Einheit Gold wert. Das ist beschleunigtes Lernen.

STANDARD: Mittlerweile häufen sich auch die Spiele gegen die Topstars. Zwei Siege gegen Federer und einer gegen Nadal stehen 2016 zu Buche.

Bresnik: Die Siege gegen Nadal auf Sand und gegen Federer auf Rasen haben einen enormen Schub für sein Selbstvertrauen gebracht. Das sind Katalysatoren für die Entwicklung. Vor allem hatte er in beiden Partien Matchball gegen sich. Da ist vieles aufgegangen.

STANDARD: Im Halbfinale von Paris wurden Thiem dann aber doch Grenzen aufgezeigt, Novak Djokovic hat sein Spiel entwaffnet.

Bresnik: Er wurde nicht entwaffnet. Er hat drei Tage in Folge gespielt und war nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte. Dann kann man gegen Djokovic gar nichts machen.

STANDARD: Es fiel auf, dass Thiem sogar gegen den Branchenprimus das Spiel dominieren will. Kann er gar nicht anders?

Bresnik: Wenn ich gegen Djokovic nicht aggressiv spiele, habe ich keine Erfolgsaussichten. Der hat Geduld und Fitness ohne Ende. Dominic ist einer der wenigen, die gegen ihn Winner schießen können. Noch überwiegen aber die Eigenfehler.

STANDARD: Dieses Powertennis, dieses Hopp oder Dropp kommt beim Publikum gut an. Zuletzt kursierte im Internet ein Video, in dem Thiem den Ball durch die Beine spielte.

Bresnik: Diese Schläge für die Galerie interessieren mich nicht, die sind aus der Not heraus geboren. Aber ja, er versucht das Spiel zu dominieren, das gefällt den Leuten. Man sieht lieber einen Hermann Maier, der alles riskiert und dann vielleicht mal zwanzig Meter durch die Luft fliegt, als einen sicheren Platzfahrer.

STANDARD: Viele Experten sehen in ihm bereits ein potenzielle Nummer 1.

Bresnik: Wenn man mit 22 Jahren in den Top Ten steht, ist das ein Indiz dafür, dass die Grenzen weit oben sind. Ob man sie erreicht oder nicht, ist eine andere Frage.

STANDARD: Früher war es ihm wichtig, der beste Spieler seines Alters zu sein. Hat das noch eine Bedeutung?

Bresnik: Dominic ist nicht mehr frisch aus der Jugend. Er hat seinen Platz im Herren-Tennis. Jetzt muss er sich damit auseinandersetzen, wie er Größen à la Murray, Wawrinka, Federer oder Nadal bezwingen kann. Das ist vorrangig.

STANDARD: Nach Niederlagen hört man ihn nicht jammern. Ist auch das eine Qualität?

Bresnik: Er kann Niederlagen unmittelbar nach dem Spiel analysieren. Er ist emotional nie so abgelenkt, dass er sich an nichts erinnern würde.

STANDARD: Woher diese Gabe?

Bresnik: Das ist kein Talent, das ist anerzogen. Dominic hat das vom Elternhaus mitbekommen. Viele Zehnjährige sitzen nach einer Niederlage in der Ecke und weinen. Wenn man das hinnimmt, jammern die mit 20 noch immer.

STANDARD: Ist wenigstens das Können mit dem Ball seinem Talent geschuldet?

Bresnik: Talent gibt es für mich nicht. Die Leute glauben, dass ein Thiem weniger machen musste als ein Horst Skoff oder Stefan Koubek und trotzdem besser geworden ist. Das stimmt nicht. Er hat in seiner Ausbildung immer den richtigen Weg eingeschlagen. Das lief runder als bei anderen. Gewinnt er mehr, weil er talentierter ist? Nein, kompletter Schwachsinn. Jeder Erfolg ist ein erarbeiteter Erfolg.

STANDARD: Sie wirken bei den Spielen sehr ruhig. Wie sieht es eigentlich in Ihnen aus?

Bresnik: Ich möchte meine Energie im fortgeschrittenen Alter nicht beim Zusehen verschwenden. Es bringt nichts, wenn ich die Augen verdrehe. Ich war noch nie angefressen, weil er ein Match vergeigt hätte. Hat er auch noch nicht. Er hat Matches verloren, weil er körperlich nicht fit war. Oder weil der Gegner besser war. (Philip Bauer, 27.6.2016)