Li Keqiang (li.) und Klaus Schwab schütteln in Tianjin Hände.

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Premier Li Keqiang hat in seiner ersten Reaktion auf die weltweiten Turbulenzen nach dem Brexit vorsorglich die chinesische Öffentlichkeit und ausländische Investoren aufgerufen, Vertrauen in Chinas Wirtschaftskurs zu zeigen und nicht impulsiv zu reagieren. "Angesichts einiger kurzfristiger Fluktuationen sollten die Märke ruhig bleiben," sagte Li.

Der Premier war bemüht, in seiner 50-minütigen Rede und seinen Antworten auf Fragen, die ihm WEF-Gründer Klaus Schwab stellte, die Folgen des "Brexit" nicht zu dramatisieren. Doch er machte deutlich, dass kein Land über seine eigene Entwicklung reden kann, ohne sie in den Kontext der Lage der Weltwirtschaft zu stellen. Und dort hätten sich neue Unsicherheiten auf den internationalen Finanzplätzen "verstärkt."

Was China angehe, hoffe es auf eine "vereinte stabile europäische Union" und zugleich auf ein ebenso "stabiles florierendes Großbritannien." Beide seien Chinas Partner, sagte der Premier zum Auftakt des "Sommer-Davos" genannten Weltwirtschaftsforums (WEF) in der Metropole Tianjin. Er warb zugleich um die 2.000 Unternehmer und anderen Teilnehmer der Konferenz. Sie sollten sich in China als "langfristige Investoren" engagieren, und nicht als "kurzfristige Spekulanten".

Keine Unterschätzung

Peking unterschätze weder die aktuellen "Risiken und Widersprüche" noch den anhaltenden "Abwärtsdruck", unter dem seine Wirtschaft stehe, sagte Li. Er meinte die seit Jahren ungelösten Probleme mit Überkapazitäten und strukturellen Probleme. Anders als viele Kritiker hält der Premier die Verschuldung seines Landes für beherrschbar. Er verwies auf den Polster der hohen Sparquoten. Die Wirtschaft halte Kurs, stehe mitten in ihrer Transformation und verfüge über noch unerschöpfte Möglichkeiten zur Feinsteuerung. Seine Regierung müsse daher wieder wie 2009 das Wirtschaftswachstum künstlich "stimulieren". Es stehe auch nicht unter Druck zur Abwertung der Landeswährung.

Peking geht in die Offensive, um die Kollateralschäden des Brexit zu begrenzen. Doch die Nervosität, die bei der Eröffnung des dreitägigen WEF-Forums zu spüren war, schlug am Montag nicht wie befürchtet auf die chinesischen Aktienmärkte über. Diese schnitten mit mehr als ein Prozent Zuwachs positiv ab. Nur die Landeswährung Renminbi gab gegenüber dem US-Dollar nach.

Die Antriebskräfte einer auf Binnenmarktnachfrage und innovativer Wirtschaft umsteuernden Entwicklung wirkten sich aus, sagte Li. Er versprach für die "vierte industrielle Revolution", die sich Peking auf die Fahnen geschrieben hat, nicht nur die technologischen Voraussetzungen zu schaffen, sondern ein Umfeld, wo sich Kreativität und Innovation entfalten können. Er stellte mehr steuerliche Anreize in Aussicht, nicht aber etwa eine freiheitlichere Atmosphäre.

Überprüfen

Unterdessen beginnen Großunternehmen, ihre in Großbritannien getätigten Milliardeninvestitionen neu zu überprüfen. London hatte sich ihnen auch als Sprungbrett angeboten, um in der EU Fuß zu fassen. Großbritannien wurde zur ersten Adresse Chinas mit bisher 16,6 Milliarden US-Dollar an Direktinvestitionen zwischen 2000 und 2015. So investierte etwa der CIC-Investitionsfonds in Londons Wasserwerke, Versicherungen oder die Wanda-Immobiliengruppe Milliarden.

Netzausrüster Huawei gab 2013 bekannt, zwei Milliarden Pfund über fünf Jahre zu investieren. Noch stärker sind Hongkonger Investoren involviert. Laut "Beijing News" soll der CK-Hutchison-Vorstandschef Li Ka-shing seit 1995 mehr als 52 Milliarden US-Dollar in Telekom, Hafenanlagen und Immobilien angelegt haben. Hongkongs reichster Mann hatte Anfang des Jahres mit einem Abzug seiner Gelder gedroht, falls es zum Brexit kommt.

Nach dem Staatsbesuch von Xi Jinping 2015 riefen beide Staaten ihr "goldenes Zeitalter" aus. Doch es glänzt nicht mehr. "China Daily" vermutet, dass Londons Bedeutung als Renminbi-Offshore-Zentrum künftig in den Hintergrund zugunsten Frankfurts, Luxemburgs und Paris treten wird. Zum Nachteil Pekings verliert London auch seine Rolle als Türöffner. Es hatte sich in der EU etwa für die Gewährung des umstrittenen Marktwirtschaftstatus für China eingesetzt. (Johnny Erling aus Tianjin, 27.6.2016)