Ein großes, wenn nicht das große Plus der Deutschen ist, dass wirklich jeder von ihnen Tore schießen kann. Siehe Boateng, siehe Draxler.

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Lille – Das Personal zelebrierte die Welle, anschließend schallte donnernder Applaus aus dem Hotel Ermitage in die Nacht, als wäre das große Ziel schon erreicht. Als Teamchef Joachim Löw und die deutschen Fußballer am sehr frühen Montag, um ein Uhr, in ihr EM-Quartier in Evian zurückkehrten, herrschte nicht nur bei den Angestellten der Nobelherberge ausgelassene Stimmung.

Nach dem souveränen Einzug ins EM-Viertelfinale durch das 3:0 (2:0) in Lille gegen die Slowakei leuchtete sogar der Eiffelturm schwarz-rot-gold. Bei so viel Zuspruch konnte auch der kommende Viertelfinalgegner dem Weltmeister keine Angst einflößen. "Wir fürchten uns vor keinem", sagte der einmal mehr überragende Abwehrboss und Torschütze Jérôme Boateng bestimmt, und auch Löw demonstrierte das Selbstbewusstsein eines Weltmeisters. "Ich werde keine schlaflosen Nächte haben", sagte der Bundestrainer mit Blick auf den Samstag, an dem in Bordeaux (21 Uhr) mit Italien ein Angstgegner auf die deutsche Mannschaft wartet.

"Eine Topmannschaft, ein anderes Kaliber als unsere bisherigen Gegner", urteilte Löw. "Italien hat eine sehr starke Defensive und auch gute Spieler vorn."

Um auch das nächste Etappenziel der Tour de France zu erreichen, sei "eine weitere Steigerung" vonnöten, sagte Löw, seine Mannschaft sei "noch lange nicht" am Limit. "Wir müssen noch stärker werden, wenn wir das Turnier gewinnen wollen."

Nach dem holprigen Start registrierte der 56-Jährige aber erfreut, dass seine Mannschaft gegen die Slowaken weiter Fahrt aufgenommen hat und ihren Ruf als Turniermannschaft zu bestätigen scheint: "Wir hatten immer die Kontrolle über das Spiel und haben den Ball gut laufen lassen. Es war ein ungefährdeter Sieg."

Boateng mit seinem ersten Länderspieltor (8.), Mario Gomez (43.) und Julian Draxler (63.), der Mann des Spiels, schossen Deutschland in die Favoritenrolle. Mesut Özil vergab einen Foulelfmeter (13.). Dass seine Mannschaft auch im vierten EM-Spiel ohne Gegentor blieb, freute Löw zwar, aber er mahnte: "Jetzt kommen Mannschaften mit viel mehr Potenzial und Qualität in der Offensive. Wir müssen weiter zulegen."

Was kommt, kommt

Am Montag standen für die Spieler zunächst Regeneration und ein wenig Freizeit am Genfer See auf dem Programm, am Dienstag, wenn Gewissheit herrscht, beginnt die Vorbereitung auf den nächsten Gegner. In Gedanken waren auf der kurzen Rückreise nach Evian alle schon beim Viertelfinale. "Spanien ist technisch die beste Mannschaft überhaupt. Italien ist taktisch überragend", sagte Boateng, der nach seiner Wadenblessur aus dem Nordirland-Spiel erneut groß aufspielte und in der 72. Minute gefeiert vom Feld ging. "Die Wade ist am Ende etwas fest geworden, es war eine Vorsichtsmaßnahme."

Auch Mario Gomez, der den Streit um den Platz im Sturmzentrum gegen die "falsche Neun" Mario Götze zumindest bei der EM für sich entschieden haben dürfte, blickte nach vorn – bis zum Finaltag, dem 10. Juli, seinem 31. Geburtstag. "Unser Ziel ist der Titel, deshalb müssen wir auch die Gegner in den nächsten Runden schlagen."

Dazu beitragen will auch wieder der überragende Draxler, der als Torschütze und als Vorlagengeber für Gomez zu überzeugen wusste. "Ich hoffe, dass ich im nächsten Spiel wieder ran darf. Italien und Spanien sind riesige Fußball-Nationen, wir wissen aber um unsere Stärken und glauben an uns."

Ob Löw seine Stammformation für den vierten EM-Titel gefunden hat? Er lässt sich nicht in die Karten schauen. "Es kann auch im Viertelfinale die eine oder andere Änderung geben. Das will ich nicht ausschließen." (sid, red, 27.6. 2016)