Als Europa am Donnerstagabend schlafen ging, war die Welt noch in Ordnung. Das auf Onlinebefragungen spezialisierte Umfrageinstitut Yougov hatte direkt nach der Schließung der Wahllokale um 23 Uhr eine Erhebung veröffentlicht, nach der etwa 52 Prozent der Briten gegen einen Austritt aus der EU gestimmt hatten. Einige wenige Zeitungen erlagen sogar der Versuchung, das Umfrageresultat als Realität anzusehen und titelten am kommenden Morgen mit der Nachricht, die Briten hätten sich für die EU entschieden.

Am frühen Freitagmorgen musste Yougov eingestehen, sich geirrt zu haben. Die Erklärung dafür posteten sie auch gleich auf Twitter. Sie hätten vor allem die hohe Wahlbeteiligung unterschätzt. Peter Kellner von Yougov gab zu, das Ergebnis "schlecht" vorhergesagt zu haben. "Peinlich auch für mich", twitterte er. Es war nicht das erste Mal, dass Yougov bei knappen Ergebnissen das Gegenteil des Eingetroffenen prognostizierte: Bei der Parlamentswahl im Mai 2015 sahen die Prognosen Labour-Spitzenmann Ed Miliband schon in der Downing Street.

Schwierige Ausgangslage

Aber nicht nur Yougov lag mit seiner Prognose falsch, auch die anderen Meinungsforscher sahen im Vorfeld der Abstimmung öfter die Austrittsgegner vorne. Sie hatten damit gerechnet, dass wirtschaftliche Bedenken und eine hohe Wahlbeteiligung vor allem bei jungen britischen Wählern den Ausschlag zugunsten der EU geben würden. Was letztlich nicht zutraf, weil auch verhältnismäßig viele ältere Personen sich im letzten Moment mobilisieren ließen und mitstimmten. Bis auf Yougov hatten aber alle Institute aus Vorsicht auf eine Wahltagsbefragung verzichtet.

Das Misstrauen vieler Anleger gegenüber den Meinungsumfragen hat sich seit der Häufung von Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre übrigens erhöht. Das ist nur ein Grund dafür, warum Investoren auf Wettanbieter wie William Hill und Ladbrokes schauen, obwohl diese eigentlich eher auf Pferderennen und Fußballergebnisse spezialisiert sind und nicht auf Politik. Beim Unabhängigkeitsreferendum in Schottland 2014 zum Beispiel sagten die Buchmacher das tatsächliche Ergebnis exakt voraus.

Beim EU-Referendum allerdings lagen auch sie gewaltig daneben: Die Wettquoten bei William Hill lagen vor dem Referendum bei 1:5 für Remain. Das Wettbüro Betfair bezifferte die Wahrscheinlichkeit eines Verbleibs in der EU auf 76 Prozent, auch bei der irischen Konkurrenz Paddy Power war die Quote für einen Verbleib mit 2:9 deutlich niedriger als die für einen Austritt (3:1). Gewinner waren demnach auch hier die, die auf Leave bauten. An die 80 Millionen Pfund hatten die Wettfans gesetzt, berichtet die Sunday Times. So viel wie noch nie auf ein politisches Ereignis. (mhe, 27.6.2016)