"With the Sky on Their Shoulders" (2011): Vlatka Horvat will den sozialistischen Mythos dekonstruieren, indem sie die Leere hinter alten Familienfotos freilegt. Foto: Vlatka Horvat

Foto: Vlatka Horvat

Wien – "Freiheit ist nicht für jedermann", erklärt der Mitarbeiter einer niederländischen Versicherungsfirma, die ihren Angestellten freie Zeiteinteilung ermöglicht. Bei den Einstellungstests wird ermittelt, ob einer in der Lage sein werde, Freiheit und Pflicht unter einen Hut zu bringen. Der Mann ist sichtlich stolz, den Test bestanden zu haben.

Immerhin scheinen in jenem Büro, das Marianne Flotron in ihrer Videoarbeit Work (2011) zeigt, paradiesische Zustände zu herrschen. "Es fühlt sich nicht wie Pflicht an, hier zu arbeiten", meint eine der von ihr Interviewten. "99 Prozent der Kollegen, die hereinkommen, lächeln", sagt ein anderer. Ob man auch Opfer bringen müsse? Eine echte Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Man habe jedenfalls alle Freiheiten, auch jene, jederzeit zu kündigen.

Gerade den Preis, den derlei Paradiese gemeinhin kosten, will Flotron indes eruieren. Sie will jene Selbstausbeutung aufspüren, die im neoliberalen Regime die Fremdausbeutung abgelöst hat, wie es Philosoph Byung-Chul Han in Psychopolitik formuliert – Mechanismen der Macht, die unter Schlagworten wie Freiheit und Verantwortung aus dem gefährlichen Trend zur "Selbstoptimierung" Profit schlagen. Unscheinbare, selbstverständlich vorgebrachte Sätze sind es dabei, die in den Ohren klingeln könnten, solche wie: "Du hast die Verantwortung, gesund zu bleiben."

Flotron klopft aber nicht nur die Oberfläche ab. Sie dokumentierte zudem die Arbeit eines Theatertherapeuten mit den Angestellten, für die er auf das "Theater der Unterdrückten" zurückgriff: eine im Brasilien der 1960er entwickelten Methode, die soziale Konflikte verhandelbar machen soll.

Ambivalente Arbeitswelt

Work ist mit seinen umfassenden Einblicken in eine hochambivalente Arbeitswelt ein Highlight der Ausstellung Crisis as Ideology? im Kunstraum Niederösterreich. In dieser geht es darum, das komplexe Phänomen Krise zu durchleuchten – mit Schwerpunkt darauf, inwiefern die Rede von der Krise sich als "Herrschaftsinstrument" einsetzen lässt, wie Ängste angesichts des Zeitenwandels politisch und ökonomisch ausgebeutet werden. Um die Arbeitswelt geht es auch in We are the builders (2013): Ferhat Özgür dokumentierte die Arbeitssituation türkischer Männer, die in Wachstumsregionen migrieren, um dort unter prekären Bedingungen im Baugewerbe zu arbeiten.

Andere von insgesamt acht Positionen gehen das Thema mittelbarer an, etwa Anna Hofbauers Wo waren wir stehen geblieben (2014/16): Diese Serie von beim Spazierengehen entstandenen Landschaftsfotos soll von der persönlichen "Suche nach Kontinuitäten" in einer von Unwägbarkeiten geprägten Zeit erzählen. Vlatka Horvat legte eine Reihe rollfähiger Gegenstände an eine Tischkante, um einen Kipppunkt zu illustrieren.

Entwaffnend ist Dejan Kaludjerobivics Installation Mikado Spiel (2016): Er interviewte Kinder, befragte sie etwa zu ihrer Angst vor dem Tod oder zu Geschlechtern, um neue Blicke auf alte Begriffe zu gewinnen. (Roman Gerold, 27.6.2016)