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Besorgter Blick in Berlin: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will, dass sich die EU um jene Themen kümmert, die die Bürger bewegen.

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Sollen die Briten schnell aus der EU austreten oder haben sie noch Zeit? Wer diesbezüglich eine klare und offizielle Antwort von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet hatte, der wurde am Montag zunächst enttäuscht.

Sie erwarte "zu einem bestimmten Zeitpunkt" die entsprechende Mitteilung der britischen Regierung an die Europäische Union nach Artikel 50 der europäischen Verträge, erklärte Merkel und betonte auch: "Die Mitteilung muss von der britischen Regierung geschickt werden, und da habe ich weder eine Bremse noch habe ich da eine Beschleunigung."

Einerseits habe sie "ein gewisses Verständnis", dass Großbritannien erst die Lage analysieren müsse. Andererseits, so Merkel: "Wir dürfen uns eine dauerhafte Hängepartie nicht leisten, weil das, glaube ich, für die Wirtschaft beider Teile – der EU-27 und Großbritannien – nicht gut wäre."

Merkel stellte allerdings klar, dass es keine Vorverhandlungen mit London geben werde, bevor die Austrittsabsicht nicht förmlich erklärt sei. Und sie appellierte an den Zusammenhalt der 27 anderen EU-Staaten: "Es muss alles getan werden, damit Fliehkräfte oder Zentrifugalkräfte nicht gestärkt werden, sondern damit der Zusammenhalt gestärkt wird."

Unruhe an Finanzmärkten

Deutlicher wurde sie in einer Telefonkonferenzschaltung mit dem CDU-Bundesvorstand. In dieser warnte sie vor einer Vertiefung der Eurozone. Es gebe große Sorge an den internationalen Finanzmärkten, dass die gesamte EU nicht mehr regierbar sei. Diese Regierbarkeit müsse aber unbedingt erhalten werden, erklärte sie nach Angaben von Teilnehmern.

Deshalb solle sich die EU jetzt um jene Themen kümmern, die den Bürgerinnen und Bürgern am stärksten unter den Nägeln brennen: Schutz der EU-Außengrenzen, Arbeitsplätze und die innere Sicherheit. Merkel will zudem stärker in Erinnerung rufen, dass die Europäische Union ein Friedensprojekt sei.

Am Montagnachmittag empfing Merkel in Berlin den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, am Abend den französischen Staatspräsidenten François Hollande und den italienischen Premier Matteo Renzi. Dieser drängt auf einen schnellen Austritt der Briten. "Europa kann alles tun, außer eine einjährige Diskussion über das Verfahren zu beginnen", sagte er am Montag vor dem Parlament in Rom. "Wenn sich alles auf eine Diskussion über das Verfahren reduziert, verlieren wir aus dem Blick, was geschehen ist." Er kritisierte auch, es fehle "das Bewusstsein für den Ernst der Situation". Europa habe keine Zeit zu verlieren, sondern müsse "sich bewegen".

Vom Treffen zwischen Merkel, Hollande und Renzi einen Tag vor dem EU-Gipfel sollte die Botschaft ausgehen, dass sich die verbliebenen "Großen" in der EU einig sind und nun zusammenhalten. Doch zwischen Berlin und Paris gibt es nicht nur Gleichklang. Auch Hollande drängt die Briten zum schnellen Abgang und will sie, so einer seiner Berater, "richtig bluten" lassen. Merkel hingegen erklärt, es gebe keinen Grund, "garstig" zu werden.

"Dexit" ist kaum Thema

In einer Forsa-Umfrage für das "Handelsblatt" hat sich die große Mehrheit der Deutschen gegen eine Volksbefragung auch in Deutschland über die EU-Zugehörigkeit – den so genannten "Dexit" – ausgesprochen. 71 Prozent quer durch alle Alters- und Wählergruppen wollen ein solches Referendum nicht.

Fände eine solche Befragung allerdings statt, würde auch nach dem Nein der Briten eine große Mehrheit von 82 Prozent der Deutschen für den Verbleib in der EU stimmen. Nur eine kleine Minderheit von 14 Prozent würde für einen Austritt votieren. (Birgit Baumann aus Berlin, 28.6.2016)