Mehr als zwei Millionen Polen sind nach dem EU-Beitritt ihres Landes im Jahr 2004 ausgewandert – die allermeisten davon nach Großbritannien. Mittlerweile leben etwa 880.000 Polen auf der Insel und bilden damit die größte Gruppe von EU-Einwandern. Die Angst vieler ärmerer Briten vor einem Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt griff auch die Brexit-Kampagne auf – nicht immer ohne fremdenfeindliche Töne.

Nach dem Referendum fürchten die Zuwanderer nun, dass sie die großen Verlierer des EU-Austritts werden könnten – auch wenn sowohl die offizielle Ausstiegskampagne als auch ihre Führungsfigur Boris Johnson bisher stets betonten, dass jene, die schon da sind, keine großen Änderungen zu erwarten haben.

Deutschland und Frankreich haben am Montag versucht, den Visegrád-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei) bei einem Treffen der Außenminister die schlimmsten Sorgen vor den Folgen des Brexit zu nehmen. Die Debatte über die Zukunft der 27 EU-Staaten müsse unter Einbeziehung aller Mitglieder geführt werden, hieß es danach.

Tusks "dunkle Rolle"

Die nationalkonservativ-europakritische PiS-Partei, die in Warschau regiert, sieht jedenfalls Chancen zur Profilierung. Gleich nach dem Votum hat ihr Chef Jaroslaw Kaczynski EU-Reformen gefordert, und versprochen, sich für die polnischen Bürger in Großbritannien einzusetzen.

Am Montag nutzte er den Brexit für einen Angriff auf die frühere liberale Regierungspartei PO. Deren Ex-Chef, Ex-Premier Donald Tusk, habe auf seinem derzeitigen Posten als EU-Ratspräsident "eine dunkle Rolle" auf dem Weg zum britischen EU-Ausstieg gespielt. Ein Votum über einen polnischen Austritt plant Kaczynski nach eigenen Worten nicht.

Ähnlich hat sich Ungarns rechtskonservativer Premier Viktor Orbán geäußert. Er schloss ein solches Votum vorerst sogar aus. Allerdings will auch er profitieren: In Budapest werden "Willkommenspakete" für Firmen geplant, die nach den Brexit aus Großbritannien auswandern.

Tschechiens Präsident Milos Zeman sagte am Montag, er sehe nach dem Brexit das "Ende Großbritanniens, wie man es kennt" kommen. Das Land werde nun auseinanderfallen. EU-Gegner in Prag fühlen sich gestärkt: In Tschechien hat eine Partei namens "Alternative für die Tschechische Republik 2017" ihren Gründungsparteitag gefeiert. An ihrer Spitze steht Soziologe Petr Hampl, bisher im Umfeld des "Block gegen den Islam" tätig.

Die Partei gibt als Ziel an, den "Multikulturalismus in Europa" stoppen zu wollen- "sonst Cexit". Die Regierung will davon nichts wissen. Außenminister Lubomír Zaoralek nannte die EU beim Treffen der Visegrád-Staaten "lebenswichtig" für sein Land. (red, 27.6.2016)