US-Außenminister John Kerry traf in Brüssel unter anderem EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Er rief dazu auf, dass jetzt "niemand die Nerven verliert".

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Das von Donald Tusk erhoffte Sommerfest gibt es nicht.

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Der diesjährige "Sommergipfel", wie das reguläre Treffen der Staats- und Regierungschefs der Union im Juni genannt wird, hätte ein Fest der Entschlossenheit, die Demonstration der Handlungsfähigkeit zur Bewältigung der jahrelangen Krisen werden sollen: Die Eurozone erhole sich wirtschaftlich stetig. Das Finanzierungsproblem in Griechenland – vor einem Jahr noch in Grexit-Panik – sei gelöst, ein solch schönes Szenario war von den Stäben des Ständigen EU-Präsidenten Donald Tusk noch bis vor Kurzem vorbereitet worden.

Der EU-Türkei-Pakt funktioniere, die große Zahl an Flüchtlingen in der Ägäis sei gestoppt. Türken würden ab 1. Juli ohne Visum in die Union reisen können.

Und schließlich werde mit dem britischen Premierminister David Cameron feierlich darauf angestoßen, wie man die erst im Februar vereinbarten Sonderkonditionen für London in einem modifizierten EU-Vertrag jetzt rasch umsetzen könne. Aber aus all dem wird nichts, wenn sich die Vertreter der 28 Mitgliedstaaten Dienstagnachmittag in Brüssel treffen.

Stattdessen gibt es einen brisanten Krisengipfel, nachdem die Mehrheit der Briten bei einem Referendum vergangenen Donnerstag für einen Austritt ihres Landes aus der Union gestimmt hatte.

Zerplatzte Träume

Die Tagesordnung musste komplett umgeworfen werden. Alles wird nun im Zeichen der Debatte stehen, wie es weitergehen soll mit Großbritannien – und im Anschluss an einen möglichen Brexit mit dem verbleibenden Rest der EU-27. Die Debatte zur Migration wird zwar stattfinden. Aber es sind (auch wegen der Probleme mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan) keine Entscheidungen zu erwarten.

Auf der Strecke bleibt ebenso Außenbeauftragte Federica Mogherini. Sie wollte der Chefrunde ursprünglich ihre neue "globale Strategie" der Union vorstellen, eine verstärkte Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Außen- und Sicherheitspolitik durch Zusammenlegung der Kräfte. Das alles soll nicht zuletzt in engerer Abstimmung mit der Nato geschehen, die kommende Woche in Warschau ihr Gipfeltreffen auf Ebene der Regierungschefs abhält.

Mit der Aussicht, dass die Briten in Zukunft nicht mehr EU-Mitglied sein dürften, wird das für Mogherini aber eine schwierige Übung: Die Pläne müssen auf Eis gelegt und überarbeitet werden. Hauptthema und das Kernproblem wird bereits am ersten Tag beim Arbeitsessen sein, ob es gelingt, zumindest einen Zeitplan für die Austrittsverhandlungen der Briten zu finden.

Die Lage ändere sich "von Stunde zu Stunde", berichteten Diplomaten zu der Kakofonie, die auf allen Ebenen zum Brexit ausbrach. Aus den Regierungszentralen der Staaten wie aus den EU-Institutionen "regnete" es widersprüchliche Aussagen, ob und wie Cameron den Austrittswunsch seiner Landsleute vorbringen sollte. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz etwa wiederholte seine Forderung, dass London "noch am Dienstag" konkret den Austrittsantrag stellen müsste.

Ein Sprecher der EU-Kommission betonte hingegen zu Mittag, es liege ausschließlich an der Regierung in London, dies zu entscheiden. Bis dahin sei das Land normal EU-Mitglied. Auch Frankreich drängt auf Entscheidung. Erste Klarheit dazu kam am Nachmittag aus Berlin, wo die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den französischen Staatspräsidenten François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi zu einem Krisentreffen geladen hatte. Tenor: Cameron werde nicht gedrängt.

In diese Richtung stellte der britische Finanzminister George Osborne in London klar, dass das formelle Verfahren zum EU-Austritt erst dann gestellt werde, wenn es in London "klare Vorstellungen gibt, wie es weitergeht". Also nicht dieser Tage. Sowohl bei den Tories wie bei Labour scheint kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Es ist unklar, wer Camerons Nachfolger wird.

Cameron kommt also als nur begrenzt handlungsfähiger Premier zum Gipfel.

Ohne unmittelbare Folgen dürfte daher auch eine Sondersitzung des EU-Parlaments Dienstagvormittag in Brüssel verlaufen, bei der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Erklärung abgeben wird. Der Verfassungsausschuss verlangte von Cameron am Montag, er solle wenigstens eine Erklärung zum Zeitplan abgeben, das sei "moralische Pflicht" gegenüber den Partnern.

USA als Vermittler

Welche Haltung Österreich dazu einnehmen wird, war Montag unklar. Für Bundeskanzler Christian Kern wird es der erste EU-Gipfel seit dem Amtsantritt.

Unterstützung erhielten die Europäer von den USA. Außenminister John Kerry sagte nach einem Treffen mit Mogherini, sein Land wünsche sich "eine starke EU", behalte aber sein "besonderes Verhältnis" zu Großbritannien. Es sei wichtig, dass "jetzt niemand die Nerven verliert" fügte er nach dem Treffen an. (Thomas Mayer aus Brüssel, 28.6.2016)