Moskau – Nach einer Pause während des Petersburger Wirtschaftsforums schreibt der russische Geheimdienst wieder Schlagzeilen wegen Angriffen auf die Meinungsfreiheit: Neben zwei spektakulären Verhaftungen übte der FSB massiven Druck auf eine Petersburger Bibliothek aus, die sich am Wochenende gezwungen sah, eine populäre Veranstaltungsreihe intellektueller Diskussionen einzustellen.
Drei Jahre hatte die städtischen Majakowski-Bibliothek in St. Petersburg mit seiner "Dialoge"-Veranstaltungsreihe als einer der landesweit wichtigsten Orte für öffentliche intellektuelle Diskussionen gegolten. Doch damit ist es seit letzter Woche vorbei.
Veranstaltungen für Stadt unerwünscht
Bevor am vergangenen Sonntag zwei der bekanntesten liberalen Intellektuellen Russlands, die Politologin Jekaterina Schulman und der Historiker Aleksandr Etkind, ihr Gespräch starteten, überbrachte Veranstalter und Vizebibliotheksdirektor Nikolaj Solodnikow eine schlechte Nachricht. "Das sind die letzten Dialoge in der Majakowski-Bibliothek", verkündete er. Gewisse Dienste und Strukturen, sagte Solodnikow, hätten seit eineinhalb Jahren versucht die Bibliotheksleitung zu überzeugen, dass diese Veranstaltungen für die Bibliothek und die Stadt äußerst unerwünscht seien.
Die Hintergründe für das Ende der Reihe wurden am Montag bekannt. Das Peterburger Onlinemedium Fontanka.ru berichtete von einem Bibliotheksbesuch von Mitarbeitern der FSB-Verfassungsschutzabteilung, die sich just für den Arbeitsvertrag des Vizebibliotheksdirektors interessierten. Gleichzeitig beklagte sich der Petersburger Kulturstadtrat darüber, dass sich Solodnikow zudem verdächtig oft im benachbarten Lettland aufhalte. Letzterer hatte bereits Ende vergangener Woche seinen Bibliotheksjob gekündigt, um – so referierte Fontanka.ru – seinen Arbeitskollegen unangenehme Verhöre beim Geheimdienst zu ersparen.
Verhaftungen von Liberalen
Die Petersburger Aktion gegen kritische Intellektuelle war dieser Tage jedoch nicht das einzige Signal, das der Geheimdienst insbesondere an Russlands Liberale aussandte. Gleich zwei ehemalige Weggefährten des legendären Wirtschaftsreformers und nunmehrigen Verstaatlichtenmanagers Anatoli Tschubajs wurden vergangene Woche vom FSB verhaftet.
Nach Jewgeni Dod, der sich als Vorstandsvorsitzender eines staatlichen Wasserkraftkonzerns zu hohe Prämien ausbezahlt haben soll, sorgte insbesondere eine mediengerecht inszenierte Festnahme des Gouverneurs der Region Kirow, Nikita Belych, für Schockwellen unter Liberalen. Im vergangenen Jahrzehnt hatte Belych gemeinsam mit Tschubajs und dem 2014 ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow als Spitzenfunktionär des wirtschaftsliberalen "Bündnis der rechten Kräfte" gewirkt. Bis zuletzt hatte der nunmehrige Untersuchungshäftling, dem nun die Annahme von 400.000-Euro-Bestechungsgeld vorgeworfen wird, zudem als liberaler Vorzeigebürokrat gegolten.
Zumindest für Insider kommt eine Intensivierung von Geheimdienstaktivitäten keinesfalls überraschend. Ausgehend von Umbesetzungen in einer FSB-Schlüsselabteilung hatte der renommierte Moskauer Geheimdienstexperte Andrej Soldatow einen stärker werdenden Geheimdienst prophezeit. Die personelle Verstärkung des FSB sei Vorbereitung für einen künftigen Angriff, erklärte Soldatow im Onlinemedium meduza.io. "Insbesondere große Konzerne sollten sich auf unfreundliche Besuche vorbereiten", schrieb der Experte am 20. Juni. (APA, 28.6.2016)