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England am Boden.

Foto: Reuters/Herman

London/Nizza – Nach einer der schwärzesten Stunden der 152-jährigen Verbandsgeschichte muss sich Englands Nationalmannschaft mit Spott und Hohn auseinandersetzen. Das mit großen Ambitionen nach Frankreich gereiste junge Team scheiterte im EM-Achtelfinale blamabel an Island.

Trainer Roy Hodgson, dessen Vertrag ohnehin ausgelaufen wäre, erklärte nach dem 1:2 umgehend seinen Rücktritt. Dem 68-Jährigen, der das Traineramt 2012 übernommen hatte, gelang es nicht, das Beste aus der jungen, talentierten Mannschaft herauszuholen. "Das war die schlechteste Leistung, die ich je von einem englischen Team gesehen habe", sagte der ehemalige Teamkapitän Alan Shearer.

Gegen Island war kaum ein Plan erkennbar. Die Three Lions schienen überrascht, dass der Außenseiter nicht nur verteidigte, sondern auch ansehnlichen Fußball spielte. "Seine Amtszeit wird immer mit der totalen Demütigung verbunden sein, die mit dieser Niederlage einhergeht", schrieb der Guardian.

Southgate in Pole-Position

"Der nächste Teammanager hat einen schweren Job vor sich. Wir haben hart gearbeitet, aber ohne Erfolg. So wird sich jeder an das Team erinnern", sagte Torhüter Joe Hart, der bei Kolbeinn Sigthórssons Treffer zum 1:2 patzte. Viel Hoffnung auf Besserung unter einem neuen Teammanager gibt es in England zunächst nicht. Es drängen sich ohnehin nicht viele Kandidaten auf. Als Favorit gilt U21-Coach Gareth Southgate. "Die Zukunft ist vielversprechend", sagte Rooney. Der 30-Jährige will seine Teamkarriere auch nach seinem 115. Länderspiel fortsetzen. "Ich bin stolz, für England zu spielen. Wenn ich nominiert werde, stehe ich bereit."

"Die schlimmste Niederlage unserer Geschichte. England geschlagen von einem Land, in dem es mehr Vulkane gibt als Fußballprofis", twitterte Gary Lineker stellvertretend für eine Vielzahl an Ex-Teamspielern. "England – armselig, schockierend, unfähig", meinte Alan Shearer. Der BBC-Experte brachte sich selbst sogleich als neuen Teamchef ins Spiel.

"Brexit2"

Auch die Fans sparten nicht mit Häme. Dass wenige Tage nach dem politischen Europa-Aus das sportliche folgte, passte ins Bild. "Brexit2" wurde auf Twitter zum Trending Topic. Hodgson könne die Nachfolge des scheidenden Premierministers David Cameron antreten, "da er der perfekte Mann ist, das Land aus Europa hinauszuführen", hieß es.

Die Medien überschlugen sich mit Kritik. Von "hirntotem Fußball" ("Times") und der "ultimativen Demütigung" ("Daily Mail") war die Rede. Hodgson hätte schon 2014 nach dem Gruppen-Aus Englands bei der WM in Brasilien gehen müssen. "Was für eine Verschwendung die letzten beiden Jahre waren. Es wurde viel von Fortschritt, Versprechungen und starker Verantwortungskultur gesprochen. Aber unter Druck hat sich alles verflüchtigt", schrieb Martin Samuel von der "Daily Mail".

Wer den Schaden hat... – die Reaktion der walisischen Teamspieler auf den Brexit.
Football Time

"Zu wichtig, zu reich, zu abgehoben"

Während Hodgson für seine inkohärente Taktik bei der EM Kritik einstecken musste, wurden auch die Spieler und die Premier League hinterfragt. "Hodgson wird die Schuld auf sich nehmen und hat den Preis dafür bezahlt. Aber diese hochbezahlten Premier-League-Spieler sollten der Kritik nicht entkommen", schrieb BBC-Fußballexperte Phil McNulty. Andere wurden deutlicher.

"Zu berühmt, zu wichtig, zu reich, zu abgehoben und mächtig. Das ist England", schrieb Ian Herbert vom "Independent" über die englischen Kicker. Shearer sah viele englische Anhänger vom Glanz der Premier League geblendet. "Wir sind total abhängig von ausländischen Spielern und Trainern. Wir sind nicht so gut, wie wir glauben."

Mit der aktuellen Spielergeneration scharf ins Gericht ging auch der Ex-Internationale Chris Waddle. "Wir haben keine Führungsspieler, sie sind alle verwöhnt, sie haben alle ihre Kopfhörer auf, und man kann nichts aus ihnen herausholen. Ich würde niemals Geld für ein Spiel der Isländer ausgeben, aber sie haben große Kameradschaft gezeigt. England wird nun sagen, wir bauen eine Mannschaft für Katar (WM 2022, Anm.) auf. Und dann werden wir eine Mannschaft für Timbuktu aufbauen", sagte der BBC-Experte.

Nordische Helden

Das isländische Märchen erinnert dagegen langsam an zwei der größten Sensationen bei Fußball-Europameisterschaften: den Titel der Dänen 1992 und den Erfolg der Griechen 2004.

Vor dem einstigen Fußballzwerg, vor vier Jahren noch die Nummer 133 der Weltrangliste knapp hinter Burundi, zittern nun Großmächte. Was immer noch kommen mag – mit dem Erfolg gegen ihre Idole aus England haben die Isländer jetzt schon Heldenstatus erworben. In ihrer Heimat erreichte das Spiel eine TV-Rekordquote von 99,8 Prozent. Nur 650 Personen schauten etwas anderes. (APA, sid, red, 28.6.2016)

Pressestimmen

ÖSTERREICH

  • Die Tagespresse: '"Nichts überstürzen": England will vorerst weiter bei EM mitspielen. Nach der größten Blamage in der Geschichte Englands seit Freitag kündigte die englische Nationalmannschaft an, bei der Abreise nichts überstürzen zu wollen. Vorerst will das Land trotz der Niederlage gegen Island bei der EM weiterspielen und erst im Laufe der kommenden zwei Jahre langsam ausscheiden."

ENGLAND

  • The Sun: "It's a Brrrexit for lidl England. Löwen von kleinen Fischen nach einer Nacht der Demütigung rausgeworfen. Was für eine Blamage! Die Three Lions werden mit der peinlichsten Niederlage der Geschichte aus der EM geworfen. Bevor die Spieler in ihren Urlaub nach Vegas, Dubai oder Marbella jetten, sollten sie sich endlose Wiederholungen der isländischen Feierlichkeiten ansehen. So etwas darf nie wieder passieren. Das tut weh. Richtig weh. Auf Wiedersehen Roy, Danke Roy – sie waren ein vollkommenes Desaster."

  • The Guardian: "England wird von Island gedemütigt und aus der EM geworfen. Für Roy Hodgson war es ein schändliches Ende seines Postens als Teammanager. Bei allem, was in dieser Zeit geschehen ist: Seine Amtszeit wird immer mit der totalen Demütigung verbunden sein, die mit dieser Niederlage einhergeht. Und mit dem Wissen, dass diese Niederlage seinen Platz findet, unter den schlimmsten Resultaten der Nationalmannschaft."

  • The Times: "Hodgson tritt zurück, nachdem England von Island blamiert wurde. Nach 959 Spielen war dies die demütigendste Niederlage in Englands Geschichte – gegen ein Land mit 330.000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt. Nichts in der 144-jährigen Geschichte ist vergleichbar mit dieser Schmach. Nichts. Gar nichts. Planlos, einfach planlos. England fehlte die Führung von Hodgson, fehlte die Idee, fehlte die Gelassenheit. Europa wird dieses England nicht vermissen."

  • Daily Mirror: "Brrrexit. England fliegt zum zweiten Mal innerhalb einer Woche aus Europa. England war chaotisch, eine Horror-Show. Keine Ideen, keine Überzeugung – keine Entschuldigungen. Es gibt drei Dinge, denen man sich im Leben sicher sein kann: Tod, Steuern – und mittelmäßige Auftritte Englands bei großen Turnieren. Hodgson wirft nach der Demütigung durch Island hin und hinterlässt die Three Lions als die Witzfiguren Europas."

  • Daily Mail: "Verlierer! In Englands schwärzester Nacht tat der Manager, der uns beschämt hat, das einzig Richtige – er trat zurück."

ISLAND

  • Frettabladid: "Unserer Brüder mit den Löwenherzen. Es brauchte keine Tricks, um das Spiel zu gewinnen. Nicht auf 0:0 spielen und dann im Elfmeterschießen zuschlagen. Nicht dem Gegner den Ball geben und darauf hoffen, dass er nicht trifft. Nichts dergleichen. Das isländische Team hat eine Weltklasse-Leistung gezeigt. Die Engländer trauten ihren Augen nicht."

  • Pressan: "Wir verneigen uns: Ihr seid Giganten, Isländer. Das englische Team hat sich blamiert, das ganze Kompliment muss nach Island gehen, das die Fußballwelt im Sturm erobert. Nicht wegen des schönen Spiels, sondern wegen der Leidenschaft. Am Freitag hat sich England einen Spaß mit Europa gemacht, heute lacht die Fußballwelt über England."

  • Kjarninn: "Island führt England vor. Das Abenteuer Islands bei der Europameisterschaft geht nach einer absolut magischen Vorstellung weiter."

  • Morgunbladid: "Island darf nach einem historischen Sieg weiter spielen. Das isländische Team hat gegen England einen unglaublichen Willen und eine herausragende Entschlossenheit gezeigt, der Sieg war absolut atemberaubend. Island schreibt nun ein weiteres Kapitel seiner Fußball-Geschichte am Sonntag in Paris, wenn der Gegner im Viertelfinale Gastgeber Frankreich ist."