St. Denis/Paris – Spanien verabschiedet sich von seiner goldenen Fußballergeneration. Zwei Jahre nach dem Aus bei der Weltmeisterschaft in Brasilien in der Gruppenphase hat die Achtelfinal-Niederlage gegen Italien bei der EM bestätigt, dass die Ära des Tiki-taka zu Ende gespielt ist. "Wir sind nicht mehr die Besten", titelte die Sportzeitung "Marca" am Dienstag. "Wir sind Geschichte."
Das Team von Vicente del Bosque hatte noch eine Nacht im Trainingscamp auf der Ile de Re verbracht. Die Schlagzeilen konnten die Spieler da schon lesen. "La Floja" (die Schwache), schrieb "Mundo Deportivo" in Anlehnung an "La Roja" (die Rote). In Italien spottete derweil die "Corriere dello Sport" nach dem 0:2 gegen die Squadra Azzurra: "Tikitalia".
Eine taktische Lehrstunde
Die Italiener erteilten dem "doppelten" Titelverteidiger eine taktische Lehrstunde und gingen nach Toren von Giorgio Chiellini (33.) und Graziano Pelle (91.) zu Recht als Sieger vom Platz. "Wir haben alles versucht, aber wir müssen die Niederlage akzeptieren. Sie waren besser, haben sehr gut gespielt und es sich daher verdient, ins Viertelfinale aufzusteigen", resümierte del Bosque.
Die Bilder von Andres Iniesta, Sergio Ramos, David Silva, Sergio Busquets, Gerard Pique und all den anderen werden diesmal nicht in Gold gerahmt, sondern eher wie leicht vergilbte Poster von den Wänden gerissen. Nach den Erfolgen von Real und Atletico Madrid und dem FC Sevilla in den europäischen Wettbewerben enttäuschte das Nationalteam, das 2008 und 2012 als Europa- und 2010 als Weltmeister gefeiert worden war.
"Die Mannschaft hatte nicht das Niveau von 2010 und 2012", sagte Pique. Der Innenverteidiger vom FC Barcelona war einer der wenigen, die sich im Stade de France den Reportern stellten. "Man muss die Enttäuschung hinnehmen, wie sie ist", meinte der diesmal blasse Stratege Iniesta. Tormannlegende Iker Casillas, der seinen Platz David de Gea hatte überlassen müssen, schlich wortlos davon. Sein Rücktritt aus dem Nationalteam steht wohl bevor.
Bevor steht wohl auch das offizielle Ende der Teamchefära del Bosques. "Ob ich weitermache oder nicht, muss ich mit dem Präsident besprechen", sagte der 65-Jährige. Alles andere als ein Abschied nach acht Jahren wäre aber eine riesengroße Überraschung, zumal es nach dem blamablen WM-Out 2014 die zweite Enttäuschung hintereinander gab.
Nachfolger in Position
"Es ist Zeit, den Stab weiterzugeben", forderte das Sportblatt "As". Der "Marques" (Markgraf), der den Adelstitel 2011 vom damaligen König Juan Carlos erhalten hatte, wirkte zuletzt auch etwas müde. "Genervt", wie er selbst sagte, von den "Lügen über Lügen", die in den Medien verbreitet werden – und wohl auch von dem, was sich rund um seine Mannschaft abspielte. Schlagzeilen wie jene über De Gea, dessen Name in Ermittlungen zu einem Skandal um einen Pornoring genannt worden war, sind dem überaus korrekten del Bosque zuwider.
Die Nachfolgediskussionen haben bereits begonnen, einen klaren Favoriten scheint es nicht zu geben. Nach Angaben der "Marca" steht Julen Lopetegui, der bereits die spanische U21-Auswahl trainiert hat, in der Poleposition. Lopetegui hatte den Verband einst verärgert, weil er 2014 zum FC Porto gewechselt war – was man ihm inzwischen anscheinend verziehen hat.
"As" handelt den derzeit vereinslosen und zuletzt bei Granada tätigen Joaquin Caparros als Topkandidaten. Er soll deshalb auch Angebote von Betis Sevilla, Valencia und Alaves abgelehnt haben. Auch der frühere Real-Profi Michel, der im April als Coach von Olympique Marseille entlassen wurde, ist im Gespräch. Auf Spaniens Trainer wartet jedenfalls viel Arbeit, schon in der WM-Qualifikation im Herbst ist Italien, gegen das es in den jüngsten zwölf Spielen nur zwei Niederlagen gab, neuerlich Gegner.
Ramos, Piqué hinter del Bosque
Del Bosque hat diesbezüglich keine Bedenken: "Ich glaube nicht, dass eine Ära zu Ende gegangen ist, aber wir haben gesehen, wie schwierig es ist, ein großes Turnier zu gewinnen. Der spanische Fußball hat eine großartige Struktur, wir haben jahrelang daran gearbeitet. Wir haben eine gute Jugendakademie und gute junge Spieler."
"Ich weiß nicht, ob wir was ändern sollten", sagte Ramos. Auch der zweite Innenverteidiger Piqué sprang seinem Coach bei. "Er verdient es, selbst zu entscheiden. Wenn er meint, die Kraft zu haben, hoffe ich, dass er weitermacht." Barcelonas Kapitän wollte auch nichts vom Ende einer Ära wissen. "So weit würde ich nicht gehen, aber unser derzeitiges Team ist nicht auf dem Niveau von 2008 bis 2012." (APA, red, 28.6.2016)