Andreas Tiran ist der Kopf der Core-Facilities am Vienna Biocenter: Hier werden auch bestehende Technologien nach den Wünschen der Wissenschafter adaptiert.

Foto: Corn

Wien – Wenn Fruchtfliegen rote Augen haben, dann ist das schon einmal ein gutes Zeichen. Dann sind sie gentechnisch verändert, so wie sich das in einem Labor mit dem Schwerpunkt Genetik gehört. Fast 40.000 Linien dieser Tiere, in denen jeweils ein Gen abgeschaltet ist, lagern bereits im Vienna-Biocenter-Campus in Wien-Landstraße: "Und von jeder Linie haben wir noch eine Kopie", sagt Andreas Tiran nicht ohne Stolz. Er ist Direktor der vor fünf Jahren gegründeten Core-Facilities, einer Tochter des Biocenter-Trägervereins und der hier ansässigen akademischen Institute – ob das nun das Institut für Molekulare Biotechnlogie (IMBA) oder das Gregor-Mendel-Institut (GMI), beide zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehörend, oder die Max-Perutz-Labs von Uni und Med-Uni Wien sind.

Was man wissen muss: Sammlungen wie die Fliegenbibliothek machen komplexe wissenschaftliche Arbeiten in den Life-Sciences erst möglich. Zum Beispiel hat ein Team um Wittgensteinpreisträger Jürgen Knoblich am IMBA damit die Funktionen von nicht weniger als 2600 der etwa 13.000 bekannten Gene im Fliegengenom sowie deren Vernetzungen zueinander entschlüsselt. Das entsprechende Paper wurde damals im Fachjournal Nature publiziert. Wenn man bedenkt, dass etwa 60 Prozent der Erbinformation der Fruchtfliege auch im Menschen zu finden sind, sieht man, welches Potenzial in dieser Entdeckung steckt.

Detailarbeit im Labor

Tiran beschreibt die weit weniger öffentlichkeitswirksame Detailarbeit hinter diesen Forschungen: Die Fliegen werden in Röhrchen mit einer nach überreifem Obst riechenden Flüssigkeit gehalten. Alle vier Wochen ist ein Umsetzen notwendig. Durch eine kurze Betäubung werden sie am Wegfliegen gehindert. Fliegen, die weiße Augen haben, sind nicht genmodifiziert. Sie werden ausgesiebt. Fliegenstämme, denen es nicht gutgeht, kommen in ein "Hospital", wo sie, wie Tiran erzählt, wieder aufgepäppelt werden, damit der Stamm nicht neu angelegt werden muss. Mehr als ein Dutzend Labormitarbeiter sind allein damit beschäftigt.

Die Fliegenbibliothek ist sicher die bekannteste "Facility" hier. Einzelne Röhrchen werden gegen Gebühr nicht nur den Instituten am Campus, sondern auch Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen im In- und Ausland zur Verfügung gestellt, eine Dienstleistung, die leistbar sein sollte. Das Halten der Fliegen und die Betreuung der Stämme im Labor wäre aber für viele Institute zu aufwändig, meint Tiran, wie vieles, was hier gemacht wird und zum Alltag im Life-Science-Laborbetrieb zählt. Tiran: "Für eine einzige Forschungsfrage braucht man mittlerweile viele Technologien auf dem neuesten Stand und Experten, die es gewohnt sind, damit zu arbeiten. Das kann man nicht als Institut und nicht einmal als Universität leisten." In den Core-Facilities stehen zum Beispiel zwei Genomsequenzierer – jedes dieser Hightechgeräte kostet etwa 500.000 Euro. Für Wartungsarbeiten, sagt Tiran, seien noch einmal 50.000-60.000 Euro pro Jahr zu veranschlagen. "Diese Geräte sind so leistungsfähig, dass wir über Wien hinausgehend Sequenzierleistung anbieten können".

Der Trend zu teuren Technologien, die mehrere Forschungseinrichtungen miteinander teilen, begann in den Life-Sciences vor etwa zwanzig bis dreißig Jahren. Vor fünf Jahren kam er dann am Biocenter an: Wissenschaftsministerium und Stadt Wien stellten 52 Millionen Euro für zehn Jahre zur Verfügung, um die Core-Facilities aufzubauen. Ein Schritt wie dieser brauche eine langfristige Perspektive, sagt Tiran. Allein der Aufbau von Technologien wie Elektronenmikroskopen beschäftige Techniker zwei bis drei Jahre lang, da könne man nicht in Förderungen wie bei Projekten mit konkreten Fragestellungen denken. Andererseits müsse man schnell auf Entwicklungen und Wünsche von Forschergruppen reagieren können. Deswegen gibt es in den Core-Facilities auch Spezialisten wie Kareem Elsayad und sein Team, die existierende Technologien für spezielle Anwendungen adaptieren können und neue Entwicklungen vorstellen, ehe sie am Markt sind.

Dabei muss man auch Trends in den Life-Sciences beachten. Ein Biocenter, das international mithalten will, braucht heutzutage zum Beispiel die CRISPR/ Cas9-Technologie. Die Zahl der Paper über die berühmte "Genschere", die DNA schneidet und defekte Gene entfernen kann, ist seit ihrer Entdeckung in Bakterien vor vier Jahren exponentiell gestiegen.

In den Core-Facilities arbeitet ein Wissenschafter damit, der wissen muss, wie CRISPR/Cas9 funktioniert. Krzysztof Chylinski, einst Doktorand bei der Infektionsbiologin Emmanuelle Charpentier, die als eine der CRISPR/Cas9-Erfinderinnen gefeiert wird, war einer der Autoren der ersten Papers zum Thema. Er strebt keine internationale Forscherkarriere an – und will in Wien bleiben.

Die Anschaffung der Technologie für die Core-Facilities gelang mithilfe von Crowdfunding unter Pflanzenforschungsgruppen. Mittlerweile wurde sie in mehreren Versuchsmodellen, also auch in der Maus, etabliert. Was damit noch möglich ist, wagen selbst Experten nicht zu prognostizieren. Theoretisch kann man damit Erbkrankheiten heilen. Am Biocenter wird man versuchen, die Technologie so zu adaptieren, dass der Wissenschaft zumindest kaum Grenzen gesetzt sind. (Peter Illetschko, 3.7.2016)