Bei der Eröffnungszeremonie der 66. Nobelpreisträgertagung vergangenen Sonntag füllten die Wiener Philharmoniker das Stadttheater Lindau. Seit Montag stehen Nobelpreisträger auf der Bühne und berichten über ihre Forschung und aktuelle Fragen.

Foto: J. Nimke / Lindau Nobel Laureate Meetings

Es ist wohl ein Schicksal, das die meisten Nobelpreisträger teilen: Nachdem der Anruf aus Schweden erfolgt ist, stehen sie stets in der Mitte des Geschehens. Wissenschafter suchen ihre Nähe – schließlich sind die Nobelpreisträger zum Vorschlag künftiger Laureaten berechtigt -, Journalisten fragen nach Interviews, und die Öffentlichkeit ist interessiert, zu beinahe jedem Thema ihre Einschätzung zu hören.

Nun kommt es zwar nicht oft, aber manchmal vor, dass sich so viele Nobelpreisträger auf einem Fleck befinden, dass der Rummel um jeden Einzelnen von ihnen sichtbar abnimmt. Die Menschentrauben um sie werden durchlässiger, man könnte fast meinen, sie wären wieder die ganz normalen Wissenschafter, die sie einst gewesen sind.

Treffpunkt seit 1951

Manche von ihnen mögen es bedauern, ihren Nobel-Sonderstatus abzulegen; doch die meisten scheinen es zu genießen. Gelegenheit dazu bietet die jährliche Nobelpreisträgertagung im bayerischen Lindau am Bodensee – das größte Treffen von Laureaten abseits der Preisverleihung in Stockholm. Diese Woche findet sie zum 66. Mal statt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Tagung mit dem Bemühen gegründet, Deutschlands Ausschluss aus der internationalen Wissenschaft in der NS-Zeit zu überwinden. Die Diskussion aktueller Ergebnisse steht dabei weniger im Zentrum als der Austausch zwischen Nobel-Laureaten und dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Neben den 29 Preisträgern, die heuer an der Tagung teilnehmen, wurden 402 Nachwuchsforscher aus 80 Ländern eingeladen – Studierende, Doktoranden und Post-Docs unter 35 Jahren, darunter 31 Prozent Frauen. Der Schwerpunkt liegt heuer auf dem Fachbereich Physik.

Neben Podiumsdiskussionen, Masterklassen und Diskussionen zwischen Nobelpreisträgern und Jungforschern besteht das Programm aus Vorträgen der Laureaten, in denen diese völlig frei in der Themenwahl sind. Am ersten Konferenztag berichtete der japanische Physiker Hiroshi Amano, wie und wodurch es um 1989 erstmals gelungen war, effiziente blaue Leuchtdioden herzustellen, die die Grundlage für die Erzeugung von weißem LED-Licht darstellen – eine Geschichte von harter Arbeit, Zufall, Rückschlägen und schließlich dem Durchbruch. 2012 wurde er dafür mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet.

Zufall, Glück und Ausdauer sind Motive, die sich durch viele Erzählungen der Laureaten ziehen – gepaart mit einer Portion Übermut, die die Forscher dazu antrieb, zu einer bestimmten Zeit etwas zu versuchen, das sonst niemand gewagt hat.

Gastland Österreich

Neben Reminiszenzen wurden auch aktuelle Entwicklungen in der Physik diskutiert, etwa Quantentechnologien. Diese waren Thema einer Podiumsdiskussion, die vom diesjährigen Gastland Österreich ausgetragen und von Quantenphysiker Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, moderiert wurde. Daran beteiligt war auch Rainer Blatt, Quantenphysiker an der Universität Innsbruck und am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der ÖAW, der zugleich Co-Chairperson der Lindauer Nobelpreisträgertagung 2016 ist. Eine Bootsfahrt nach Bregenz zur Seebühne samt Abendessen und ein Scientific Breakfast wurden vom österreichischen Wissenschaftsministerium finanziert.

In einer Konferenzschaltung mit dem 400 Kilometer entfernten Kernforschungszentrum Cern wurde zudem die Frage gestellt, was nach dem sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik, das den aktuellen Wissensstand über Elementarteilchen und Grundkräfte großteils zusammenfasst, kommt. Eine Frage, um die Cern-Generaldirektorin Fabiola Gianotti ebenfalls nicht herumkam, war die nach Messungen, um die sich seit Dezember 2015 Gerüchte ranken.

Damals wurde am Cern ein kleiner Überschuss von Photonenpaaren – Lichtteilchen im Doppelpack – mit einer kombinierten Energie um 750 Giga-Elektronenvolt (GeV) gemessen – diese Energie ist sechsmal höher als die, mit der das Higgs-Teilchen assoziiert wird. Verbirgt sich dahinter ein weiteres Teilchen, wäre das eine Sensation für die Teilchenphysik.

Ob dem so ist, konnte oder wollte Gianotti nicht sagen, auch ihre Kollegen übten sich in Zurückhaltung – bei der 38. Internationalen Konferenz für Hochenergiephysik in Chicago könnte ein neues Elementarteilchen präsentiert werden. Bei derselben Konferenzreihe wurde 2012 die Entdeckung des Higgs-Teilchens bekanntgegeben. Der Nobelpreisträger und ehemalige Cern-Generaldirektor Carlo Rubbia sagte über den möglichen Fund dem STANDARD: "Das ist das Wunderbare an der Physik: Was auch immer die Theorie vorhergesagt hat, die Natur kann anders entscheiden. Falls sich die Ergebnisse bestätigen, wäre das der Ausgangspunkt für eine Reihe neuer, enormer Entdeckungen." (Tanja Traxler aus Lindau, 28.6.2016)