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Vor der Debatte begrüßten sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) und Ukip-Chef Farage herzlich.

Foto: REUTERS/ERIC VIDAL

Es wurde der Tag der Abrechnung im Europaparlament, in dem am Dienstag eine emotional geführte Sonderdebatte zum Brexit stattfand. Die großen Fraktionen und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rechneten mit David Cameron und Nigel Farage gleichermaßen ab. Der Ukip-Chef und Brexit-Treiber wiederum rechnete mit der seiner Meinung nach völlig verfehlten Europapolitik ab.

"Sie haben gelogen", warf Juncker Farage vor und bezog sich auf die vielen Wahlkampfschlager der Unabhängigkeitspartei. Mit Eurohilfe oder Grenzkontrollen habe das Austrittslager Themen gesetzt, von denen Großbritannien als Nichtmitglied der Währungsunion und des Schengenraums gar nicht tangiert sei.

Buhrufe für Farage

Farage trat unter Buhrufen vor das Rednerpult im Brüsseler Parlament und bedankte sich für die warmherzige Begrüßung. Der Wechsel von der Satire in die Attacke ging dann abrupt vonstatten. "Sie haben noch nie einen richtigen Job in Ihrem Leben gemacht", geschweige denn Jobs geschaffen, warf er den Abgeordneten vor. Parlamentspräsident Martin Schulz musste daraufhin die Gemüter beruhigen. "Sie benehmen sich gerade, wie sich üblicherweise Ukips benehmen", tadelte er die aufgebrachten Mandatare, ließ aber auch Farage nicht ungescholten. Dessen Aussage zur Arbeitstüchtigkeit kommentierte Schulz so: "Sie müssen nicht von sich auf andere schließen."

Farage ließ sich nicht ausbremsen. Er prophezeite weitere EU-Austritte, weil die Union ständig nationale Kompetenzen absauge und den Wählerwillen missachte, und prangert das Versagen bei Griechenlandhilfe oder Flüchtlingspolitik an. Vor 17 Jahren sei er ins Europaparlament gekommen und für sein Ziel, das Königreich von der Union zu befreien, ausgelacht worden. "Jetzt ist Ihnen das Lachen vergangen", donnerte Farage.

Doch auch der scheidende Regierungschef Cameron bekam viel Schelte. Mit seinem Brüssel-Bashing habe sein britischer Parteikollege viel zum Abstimmungsergebnis beigetragen, fand Volkspartei-Fraktionsführer Manfred Weber. Juncker legte nach und kritisierte das jetzige "Katz-und-Maus-Spiel" Camerons. "Ich bin einigermaßen überrascht, dass sich das Vereinigte Königreich so schwer damit tut, das Votum zur Kenntnis zu nehmen", tadelte Juncker die Entscheidung Londons, sich erst nach der Bestellung eines neuen Regierungschefs mit dem Austritt befassen zu wollen.

Briten-Kontakt verboten

Das war auch der Tenor bei vielen anderen Rednern. Die EU drängt in der Briten-Frage auf schnelle Entscheidungen, um die derzeitige Unsicherheit zu beenden. Aufhorchen ließ Juncker mit der Ansage, allen Kommissionsmitgliedern bis zu einem offiziellen Mandat Verhandlungen mit den Briten zu verbieten. Er wolle damit den Eindruck vermeiden, dass Absprachen in dunklen Hinterzimmern getroffen werden, begründete der Luxemburger die Vorgangsweise. Wenn die Londoner Karten einmal auf dem Tisch lägen, werde Brüssel die Marschrichtung vorgeben, kündigte der Kommissionschef an. "Wir bestimmen die Tagesordnung, nicht diejenigen, die aus der EU austreten wollen."

EVP-Mann Weber umriss bereits ein paar Punkte. Sollte Großbritannien den Zugang von Osteuropäern zum heimischen Arbeitsmarkt begrenzen, werde es auch keine Freizügigkeit für das Königreich in der EU-27 geben, erklärte der Deutsche. "Es kann nicht Bürger erster und zweiter Klasse geben. Das Rosinenpicken ist vorbei", tönte Weber. Jeder, der seine Waren und Dienstleistungen in der EU verkaufen wolle, müsse sich an die Spielregeln halten. Das gelte ja auch für die Schweiz und für Norwegen.

Vereinzelt wurde auch Selbstkritik laut. In den Augen von Gianni Pittella, italienische Sozialisten-Spitze, hat sich die EU zu wenig um die Verlierer der Globalisierung gekümmert und zu sehr auf den Markt verlassen. Doch Juncker will sich nicht von seinem Kurs abbringen lassen. Die EU benötige jetzt keine Nabelschau. (Andreas Schnauder aus Brüssel, 28.6.2016)