Die schottische Regionalregierung macht Ernst: In einer Sondersitzung des Edinburgher Parlaments hat Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon am Dienstag mit großer Mehrheit ein Mandat für direkte Gespräche mit der EU bekommen. Es gehe um den Schutz der Interessen ihrer Nation: "Ich bin dazu entschlossen, Schottlands EU-Status zu bewahren." Um dieses Ziel zu erreichen, sei notfalls auch ein zweites Unabhängigkeitsreferendum angemessen. Während das viel größere England sowie auch Wales am vergangenen Donnerstag für den Brexit stimmten, votierten sämtliche Stimmbezirke Schottlands mit insgesamt 62 Prozent für den EU-Verbleib.

Noch am Freitag übernahm die 45-Jährige die Meinungsführerschaft ihres Landes: Ein Ausscheiden gegen die Mehrheit der Bevölkerung "wäre demokratisch unakzeptabel". Unterstützung erhielt die Vorsitzende der Nationalpartei SNP im Parlament durch Labour und die Grünen. Hingegen warnte die konservative Oppositionsführerin Ruth Davidson, die wie Sturgeon gegen den Brexit war, vor einer übereilten Entscheidung und vor der Spaltung des Vereinigten Königreichs: "Unser Handel mit dem Rest des Landes ist viel größer als der Handel mit anderen EU-Staaten."

Bleiberecht von EU-Bürgern

Ausdrücklich betonte die Ministerpräsidentin das Bleiberecht und die Wertschätzung für die Bürger anderer EU-Staaten, die in Schottland leben. "Wir sind dankbar für Ihren Beitrag zu unserer Gesellschaft, Ihr Platz in Schottland ist gesichert." Hingegen hatte der britische Premier Cameron am Montag im Unterhaus eine ähnliche Garantie lediglich "bis auf weiteres" abgegeben.

Während Sturgeon um die Zustimmung des Edinburgher Landtages warb, stand ihr Vorgänger im Staats- und Parteiamt dem Club der Londoner Auslandspresse Rede und Antwort. Alex Salmond war nach dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum 2014 nach sieben Jahren zurückgetreten. Im vergangenen Jahr verbuchten die Nationalisten bei der Unterhauswahl einen Erdrutschsieg, gewannen im britischen Mehrheitswahlrecht 56 der 59 schottischen Unterhaussitze. Salmond kehrte ins Parlament von Westminster zurück, wo er früher bereits mehr als 20 Jahre Abgeordneter gewesen war.

Der erfahrene Parlamentarier dürfte eine Schlüsselrolle dabei spielen, die britische Regierung vom Anliegen der Schotten zu überzeugen.Worin genau aber das Anliegen besteht? Das blieb bisher offen. In den vergangenen Monaten hatte sich das Schwergewicht

Salmond stets offensiver für ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit eingesetzt als die vorsichtiger agierende Ministerpräsidentin. Jetzt versprechen beide: Wenn sich der Status innerhalb der EU nicht rasch zur Zufriedenheit Edinburghs kläre, müsse man sich eben von London lossagen.

Neue Situation

Salmond verwies auf entsprechende Äußerungen seines Labour-Vorgängers im Regierungsamt, Henry McLeish. Dieser hatte 2014 die Unabhängigkeit ebenso abgelehnt wie Harry-Potter-Autorin Joanne Rowling. Die gebürtige Engländerin, die seit Jahrzehnten in Schottland lebt, wollte nach dem Brexit-Votum nicht mehr "unter allen Umständen" zum Unionistenlager gezählt werden.Salmond sprach von einem Zeitrahmen von "zwei bis zweieinhalb Jahren", geht also davon aus, dass London spätestens Ende des Jahres den Artikel 50 des Lissaboner Vertrages aktivieren will, der den EU-Austritt regelt.

Zum Austritt werde es auf jeden Fall kommen, glaubt er. Zwar gelte theoretisch die Vorherrschaft des Parlaments, aber: "Es gibt einen Unterschied zwischen parlamentarischer Souveränität und praktischer Politik. Die englischen Abgeordneten müssen für den Brexit stimmen." Für die SNP-Abgeordneten gelte dies nicht: "Wir haben das Referendum abgelehnt und verfügen über ein klares Mandat der Bevölkerung gegen den Brexit." (28.6.2016)