Florfliegenlarve mit "Rückenkorb" (links) aus extrem langgestreckten, borstenartigen Verlängerungen auf dem Thorax und Abdomen. Rechts: Rekonstruktion einer noch nicht getarnten Florfliegenlarve.

Foto: Bo Wang, Nanjing

Larven der Schmetterlingshafte:
Gut getarnt mit kleinen Steinen (links) oder mit inkohlten Pflanzenresten. Rechts: Rekonstruktion einer noch nicht getarnten Larve.

Foto: Bo Wang, Nanjing

Um sich vor Fressfeinden zu schützen, haben bereits die Insekten der Kreidezeit zu geschickten und mitunter auch makabren Verkleidungen gegriffen: Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Larven von Florfliegen sich in Pflanzenstückchen, Sandkörner oder die Überbleibsel ihrer Beute hüllten, um sich darunter zu verbergen. Ein internationales Forscherteam hat nun von solchen in Bernstein verewigten "Kostümen" auf den damaligen Lebensraum geschlossen.

Eine Florfliegenlarve macht sich über einen Pseudoskorpion her und saugt ihn mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen aus. Anschließend packt sich die Larve die Reste des toten Beutetiers auf ihren Rücken. Die groteske Verkleidung schützt die Larve davor, von Fressfeinden erkannt zu werden, und macht es ihr gleichzeitig leichter, Beutetiere zu jagen. "Mit dieser `Verkleidung´ täuscht die Florfliegenlarve vor, jemand ganz anderes zu sein", sagt Jes Rust von der Universität Bonn. "Sie nimmt mit den Beutestücken sogar den Geruch des Pseudoskorpions an."

Die Szene spielte sich in der Kreidezeit ab und ist als "Schnappschuss" im Bernstein festgehalten. Ein Forscherteam um Bo Wang vom State Key Laboratory of Paleobiology and Stratigraphy in Nanjing (China) hat zusammen mit Paläontologen der Universität Bonn sowie weiteren Wissenschaftern aus China, USA, Frankreich und England insgesamt 35 in Bernstein konservierte Insekten untersucht. Die Larven trieben mit Hilfe von Sandkörnern, Pflanzenresten, Holzfasern, Staub oder eben den leblosen Hüllen ihrer Opfer Camouflage zur Perfektion. Die Bernsteinproben stammen aus Myanmar, Frankreich und dem Libanon.

Frühen Camouflage

"Dabei handelt es sich um sehr seltene Fossilien, die uns einen einmaligen Einblick in die Lebewelt vor mehr als 100 Millionen Jahren geben", sagt Torsten Wappler, der am Steinmann-Institut der Universität Bonn diese ältesten Belege zur Tarnung zusammen mit Wang und Rust einordnete. Das Forscherteam erstaunte, welch breites Spektrum der Camouflage sich Insekten bereits in der Kreidezeit angeeignet hatten.

Manche Larven bastelten sich aus Sandkörnern eine Art "Ritterrüstung", die etwa vor Spinnenbissen schützte. Um sich ihr "Tarnkostüm" maßschneidern zu können, haben sie ihre Gliedmaßen an diesen Zweck angepasst: Die Larven konnten ihre Beine um rund 180 Grad drehen, um die tarnenden Sandkörnchen auf ihren Rücken zu transportieren. Wieder andere hüllten sich in Pflanzenreste, um eins mit der Umgebung zu werden und kaum für Beutegreifer erkennbar zu sein. "Es ist sehr überraschend, wie früh sich in der Evolution ein solch komplexes Verhalten von Insekten herausgebildet hat: Die Larven mussten aktiv nach geeignetem `Tarnmaterial´ suchen, es aufnehmen und sich damit einhüllen", sagt Wang.

Unterschiedliche Wegen zur optimalen Tarnung

Die Wissenschafter haben den Stammbaum dieser "Tarn-Insekten" analysiert. Deshalb wissen sie, dass die Tiere ganz unabhängig voneinander solche Strategien entwickelt haben müssen, weil sie nicht nahe miteinander verwandt sind. "Offenbar bietet Camouflage viele Vorteile für die Nutzer, weshalb sie während der Evolution gleich mehrfach `erfunden´ wurde", fasst Rust zusammen. Auch heute noch gibt es zahlreiche Insektenarten, die sich etwa durch Sandkörnchen unsichtbar machen – zum Beispiel die Köcherfliegenlarven in Bächen und Flüssen.

Das Forscherteam schloss aus der Camouflage der verschiedenen Bernstein-Insekten auch auf deren damaligen Lebensraum. Bei der Untersuchung eines Ameisenlöwen-Vorläufers unter dem Mikroskop zeigte sich, dass sein Tarnkleid aus winzigen Farnstücken bestand. "Dabei handelte es sich um Farnarten, die zum Beispiel nach Bränden zu den ersten wieder siedelnden Pflanzen gehörten", erläutert Wappler. Vermutlich breitete sich in der Kreidezeit ein Buschfeuer aus, das die Bäume verletzt und zu ungewöhnlich starker Harzproduktion angeregt hat. Auf diese Weise wurden die "kostümierten" Larven in das Baumharz eingeschlossen und die Szenerie bis heute erhalten. (red, 3.7.2016)