In Istanbul sind bei einem Anschlag auf den Atatürk-Flughafen nach Angaben der türkischen Regierung 41 Menschen getötet und zumindest 239 verletzt worden. Es gebe Hinweise, dass die radikalislamische Miliz "Islamischer Staat" hinter dem Attentat stecke, sagte Ministerpräsident Binali Yıldırım in der Nacht auf Mittwoch. Unter den Toten seien zumindest 13 Ausländer, teilte Istanbuls Gouverneur Vasip Şahin mit. Laut einer Liste, die in sozialen Medien veröffentlicht wurde, wurden bisher 40 der 41 Toten identifiziert. Sie stammen großteils aus der Türkei, aber auch aus Saudi-Arabien, Usbekistan, dem Iran, Jordanien, dem Irak und der Ukraine. Die Nationalität der Angreifer blieb zunächst unklar.
Der Anschlag scheint sorgfältiger geplant gewesen zu sein, als es erste Berichte Dienstagnacht vermuten ließen. Die drei Selbstmordattentäter scheinen jeweils eine eigene Rolle gespielt zu haben: Der erste Angreifer schoss im Parkhaus um sich, das direkt neben dem Terminal für internationale Flüge liegt, um die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte auf sich zu ziehen.
Ein zweiter Angreifer sprengte sich dann vor der Ankunftshalle in die Luft und verschaffte so dem dritten Terroristen Zugang zur Halle, an den Sicherheitskontrollen vorbei. Das würde erklären, wie der Angreifer überhaupt in das Gebäude gelangen konnte. Ein Augenzeuge, den die Nachrichtenagentur Reuters zitierte, berichtete von einem Terroristen, der die Rolltreppe in die Abflughalle nahm und dort um sich geschossen haben soll. Er wurde von einem Polizisten auf den Boden angeschossen und sprengte sich dann ebenfalls in die Luft.
Twitter und Facebook nicht erreichbar
In den türkischen Medien wurde Mittwochmorgen diese Version vom Hergang des Anschlags zunächst nicht berichtet. Die Regierung hat – wie mittlerweile üblich – eine Nachrichtensperre verhängt. Dabei ließ sie auch die Zugänge zu den sozialen Medien sperren. Seit vier Uhr morgens sind Twitter und Youtube nur eingeschränkt zugänglich, der Zugriff auf Facebook ist ebenfalls erschwert. Türkische Benutzer umgehen die Sperren über andere Verbindungen.
Empörung löste der Kommentar eines Abgeordneten der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP aus. "Ich hoffe, dass diejenigen, die die Nachrichtensperre kritisieren, ihr Leben bei einem solchen Anschlag verlieren", sagte Şamil Tayyar, ein Parlamentarier aus der AKP-Hochburg Gaziantep im Südosten der Türkei.
Flugverkehr läuft wieder an
Der Atatürk-Flughafen ist der größte der Türkei und ein wichtiges Drehkreuz für Reisende aus aller Welt. Behörden rechneten damit, dass der Flugverkehr für mindestens 48 Stunden beeinträchtigt sein wird. Die USA sperrten ihren Luftraum für dort gestartete Flüge. Die Turkish Airlines, als deren Basis der Airport dient, strich für Mittwoch 340 Verbindungen. In der Früh sind allerdings bereits wieder erste Flugzeuge der Airline dort gelandet.
Der Anschlag ähnle jenem des IS auf den Brüsseler Flughafen Zaventem im März, kommentierte Metin Gürcan, ein Sicherheitsexperte und früherer Offizier der türkischen Armee. Doch auch die TAK, eine Splittergruppe der kurdischen Untergrundarmee PKK, hatte weitere Anschläge in der Türkei angekündigt, sogar gezielt auf Touristen.
Dritter Anschlag in Istanbul
In der Türkei gibt es Sicherheitskontrollen in den Eingangshallen jedes Flughafens. Seit dem Sommer vergangenen Jahres wird die Türkei von Terroranschlägen des "Islamischen Staats" und der PKK erschüttert. In Istanbul ist es bereits der dritte seit Beginn dieses Jahres. Ein Drittel weniger ausländische Besucher als im Vorjahr um diese Zeit verzeichneten die Behörden. Lange Schlangen bei der Passkontrolle vor der Einreise auf dem Atatürk-Flughafen gab es in den vergangenen Wochen nicht mehr.
Kampf gegen den Terrorismus
Präsident Tayyip Erdoğan sagte, das Attentat müsse ein Wendepunkt im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus sein. "Die Bomben, die heute in Istanbul explodiert sind, hätten in jedem Flughafen, in jeder Stadt auf der ganzen Welt explodieren können." Er erwarte, dass die Weltgemeinschaft eine "entschlossene Haltung" gegenüber Terrorgruppen einnehme. Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen ziele darauf, die Türkei zu untergraben, sagte Erdoğan. Dazu werde das Blut unschuldiger Menschen vergossen und Angst verbreitet.
Die USA und Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilten den Anschlag ebenso wie der Jüdische Weltkongress. Die USA sicherten der Türkei ihre Hilfe zu. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, die Hintergründe seien zwar noch nicht klar. "Ich möchte dem ganzen türkischen Volk aber sagen, dass wir uns im Kampf gegen den Terrorismus vereint sehen und uns gegenseitig unterstützen werden."
Die Polizei habe versucht, zwei der Angreifer durch Schüsse zu stoppen, bevor sie eine Kontrollstelle in der Ankunftshalle erreichten, teilten die Behörden mit. Doch die Attentäter hätten ihre Sprengsätze gezündet.
Decke herabgestürzt
"Es gab eine gewaltige Explosion", berichtete Ali Tekin, der in der Ankunftshalle auf einen Fluggast wartete. "Es war sehr laut. Die Decke stürzte herab. In dem Flughafen sieht es furchtbar aus." Eine Frau, die gerade aus Deutschland angekommen war, erzählte, sie habe sich auf den Boden geworfen, als sie die Explosion gehört habe. "Alle sind weggerannt. Überall lagen Körperteile. Alles war voller Blut."
Der aus Südafrika stammende Paul Roos schilderte den Angriff eines der Attentäter als "wahllose Schießerei". "Er hat einfach auf jeden geschossen, der ihm in die Quere kam. Er war ganz in Schwarz gekleidet und nicht maskiert." Roos sagte Reuters, er sei nur 50 Meter entfernt von dem Angreifer gewesen. "Es gab zwei Explosionen – kurz hintereinander. Dann hat er aufgehört zu schießen. Er drehte sich um und kam auf uns zu. Er sah sich um, ob ihn jemand aufhalten würde, und dann lief er zum Aufzug. Wir hörten weitere Schüsse, dann noch eine Explosion, und dann war es vorbei." (APA, mab, 29.6.2016)