Foto: apa/hans klaus techt
Foto: apa/Fohringer

Alexander Van der Bellen und seine Anhänger haben gute Gründe, sich um einen Sieg geprellt zu fühlen. Arschknapp, aber nach allen vorliegenden Erkenntnissen fair hat der linksliberale Kandidat die Stichwahl um das Präsidentenamt gegen seinen rechten Rivalen Norbert Hofer gewonnen. Die penible Überprüfung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) hat keinen Beleg für eine Manipulation des Endergebnisses – ob beabsichtigt oder durch Schlamperei verursacht – zutage gefördert. Dennoch haben die Höchstrichter nun die Wiederholung des Urnengangs angeordnet.

In der Causa zählt eben nicht nur der blanke Wortlaut der Verfassung, laut dem einer Wahlanfechtung stattgegeben werden muss, "wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens erwiesen wurde und auf das Verfahrensergebnis von Einfluss war". VfGH-Präsident Gerhart Holzinger begründete die Entscheidung mit der ständigen Rechtsprechung des Höchstgerichts, und die legt einen strengeren Maßstab an: Demnach reicht allein die Möglichkeit, dass Unregelmäßigkeiten das Ergebnis verändert haben könnten.

Diese Auslegung hat ihre Logik: Denn wenn etwa – wie das aus einer routinierten Pfeif-auf-Vorschriften-Mentalität heraus in viel zu vielen untersuchten Bezirken passiert ist – Unbefugte ohne Aufsicht der für die Kontrolle zuständigen Kommissionen mit Stimmzetteln hantieren, kann niemals zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass manipuliert wurde, Beweise hin oder her. Insofern ist das rigorose Urteil nachvollziehbar. Schließlich ist das Wahlrecht, wie Holzinger anmerkte, das Fundament der Demokratie.

Etwas naiv klang hingegen Holzingers Behauptung, dass die Entscheidung niemanden zum Gewinner oder Verlierer mache. Natürlich feiert die FPÖ einen doppelten Erfolg. Sie bekam durch die erfolgreiche Anfechtung nicht nur eine neue Chance, Hofer doch noch in die Hofburg zu hieven, sondern auch neuen Stoff für die eigene Wir-gegen-das-Establishment-Propaganda: Seht her, das rot-schwarze System ist so verrottet, da geht es nicht einmal bei Wahlen mit rechten Dingen zu. Dass auch blaue Wahlbeisitzer mitgeschlampt haben, kann man dabei ja elegant unter den Tisch fallen lassen.

Dabei widerlegt gerade die aktuelle Entscheidung einschlägige Vorurteile. Der Verfassungsgerichtshof gilt seit jeher als Spielwiese für den großkoalitionären Proporz, und tatsächlich werden die Mitglieder auf roten und schwarzen Tickets entsandt. Mit ihrem konsequenten Beschluss haben die Höchstrichter aber bewiesen, dass sie alles andere als willfährige Diener ihrer angeblichen Herren sind. Denn die hätten sich ein ganz anderes Urteil gewünscht. (Gerald John, 1.7.2016)