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Die 14 Verfassungsrichterinnen und -richter haben entschieden. "Um das Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu stärken", wird noch einmal gewählt.

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Video: Die Verkündung.

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VfGH-Präsident Holzinger: "Wahlen sind kein Spiel"

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Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) zum Erkenntnis des VfGH

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Maria Windhager, Anwältin des Gewinners der ersten Stichwahl, Alexander Van der Bellen, zur Aufhebung der Wahl.

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Die Luft im Verhandlungssaal knistert, die Anspannung ist allen ins Gesicht geschrieben: den Anwälten der FPÖ, die das Anfechtungsschreiben beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingereicht hatten, dem für die Wahlabhaltung zuständigen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der in der ersten Reihe Platz genommen hat, den Vertretern der Grünen sowie den 14 Verfassungsrichtern. Kurz nach zwölf Uhr spricht deren Präsident Gerhart Holzinger die folgenschweren Worte: Die Stichwahl für das Bundespräsidentenamt muss in ganz Österreich wiederholt werden, um "das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und damit in unsere Demokratie zu stärken".

Vertrauen erschüttert

Es ist paradox, dass es ebendieses öffentliche Verfahren vor dem VfGH war, welches das Vertrauen vieler in den korrekten Ablauf der Wahlen erst erschüttert haben dürfte. Dass Wahlbeisitzer, die dazu da sind, Stimmen auszuzählen, diese Aufgabe an Behördenmitarbeiter delegieren, dass Wahlkuverts, die das Wahlgeheimnis hüten sollen, vorzeitig geöffnet wurden – das alles war einer breiten Öffentlichkeit zuvor wohl nicht bekannt gewesen. Erst die Anfechtung der FPÖ brachte dies ans Licht.

Wobei sich die Annahme, dass bei dieser Wahl, aus der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer als knapp Unterlegener hervorging, besonders arg geschlampt wurde, nicht bestätigte. Im Gegenteil: Die vielen Zeugenaussagen offenbarten sogar, dass das Schludern am Gesetz vorbei seit mehreren Jahren gängige Praxis war. Und der Brauch, dass das Innenministerium die Ergebnisse bereits ausgezählter Sprengel noch vor 17 Uhr an Medien und bestimmte Forschungsinstitute weitergibt, ist überhaupt älter als einige Wähler: Sie stammt von 1993, wie Sobotka am Freitag bestätigte.

Anders gesagt: Wären frühere Wahlen angefochten worden, dann hätten auch diese Urnengänge wiederholt werden müssen. Denn Holzinger stellte klar: Schon allein das vorzeitige Weitergeben von Sprengelergebnissen hätte gereicht, um die Wahl kippen zu lassen.

Termin im Herbst

Nun muss die Stichwahl wiederholt werden. Wann das sein wird, will Sobotka am Dienstag bekanntgeben, wahrscheinlich ist ein Termin im September oder Oktober.

Es ist sozusagen eine zweite Chance für die Bezirkswahlbehörden, diesmal alles richtig zu machen. Das geltende Gesetz sei "auf Punkt und Beistrich" einzuhalten, und "das ist im Übrigen gar nicht schwer", stellte Holzinger vor Journalisten klar. Es sei aber offenbar in den letzten Jahren "ein Schlendrian eingerissen, den wir bisher nicht aufgegriffen haben", weil eben nicht angefochten worden sei. Der Präsident erteilte damit jenen Zeugenaussagen eine Absage, die ihr gesetzwidriges Handeln damit erklärt hatten, dass das Gesetz zu streng und daher schlicht unanwendbar sei.

Dass das Gesetz zu locker sei und verschärft werden müsse, hatte wiederum die FPÖ in ihrer Anfechtung beanstandet. Das wies der VfGH zurück. Die Verfassungsrichter geben der Praxis aber konkretere Hinweise, wie das Gesetz künftig auszulegen ist: Wahlkarten öffnen, Stimmen auszählen – das darf nur die Bezirkswahlbehörde, also das Kollegium der Beisitzer mit dem Wahlleiter.

Nicht ohne Beisitzer

Auch die in vielen Bezirken übliche Praxis, Kuverts ohne Beisitzer aufzuschlitzen, sei verfassungswidrig. Der Wahlleiter dürfe die Wahlkarten in den Tagen vor der Wahl zwar vorsortieren und nichtige Karten ausscheiden, doch nur unter der Bedingung, dass die Beisitzer nachher alles prüfen dürfen. Denn für den VfGH sei es "völlig eindeutig, dass Gesetze, die eine Wahl regeln, rigoros angewendet werden müssen". Der VfGH blieb damit seiner jahrelangen Judikatur treu und wies die Argumentation der Grünen zurück: Diese stützte sich darauf, dass im aktuellen Verfahren so viele Zeugen gehört worden seien, dass das Gericht sich ein Bild über tatsächliche Manipulationsmöglichkeiten habe machen können – und nicht darauf abstellen müsse, ob allgemein Regeln gebrochen wurden.

Irrtum, sagte Holzinger. Es sei gar nicht notwendig, dass tatsächlich Unregelmäßigkeiten passiert seien: Schon der Bruch eines Gesetzes, das den Grundsatz der geheimen Wahl garantieren soll, rechtfertige die Aufhebung.

Theoretisch hätte der Gerichtshof eine Wahlwiederholung nur in einzelnen Bezirken anordnen können. Er entschied sich schon allein wegen der großen Zahl betroffener Bezirke dagegen: In 14 von 20 Bezirken habe man Unregelmäßigkeiten entdeckt, das betreffe insgesamt über 77.926 Briefwahlstimmen, also mehr als das Doppelte des Abstands zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer (30.863 Stimmen).

Auch ein praktischer Grund spricht laut VfGH gegen eine bezirksweise Neuauflage: Wer in Ort X eine Wahlkarte beantragt und diese in Ort Y abgegeben hat, würde, wenn in Ort Y noch einmal gewählt wird, um sein Wahlrecht umfallen – er ist ja dort nicht in die lokale Wählerevidenz eingetragen. (Maria Sterkl, DER STANDARD, 1.7.2016)