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Elie Wiesel 1928 – 2016

Foto: Reuters/Cameron

New York – Der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel ist tot. Wie die "New York Times" berichtete, verstarb er am Samstag im Alter von 87 Jahren in Manhattan. Internationale Bekanntheit erlangte Wiesel vor allem für seine unermüdliche Arbeit zur Aufarbeitung und Erinnerung des Holocaust. Er verfasste zahlreiche Publikationen, prägte die Holocaust-Education und engagierte sich bis zuletzt gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.

Wiesel wurde 1928 im rumänischen Sighet in eine religiöse jüdische Familie geboren. Das nach seinen Angaben bis dahin geordnete Leben der Familie kam zu einem jähen Wendepunkt, als Ungarn 1940 das nördliche Siebenbürgen annektierte und antisemitische Verordnungen und Ausschreitungen auf der Tagesordnung standen. 1944 wurde die Familie nach Auschwitz deportiert, Wiesels Eltern und seine jüngere Schwester Tzipora wurden ermordet. Er selbst überlebte mehrere Konzentrationslager, darunter auch Auschwitz-Monowitz und Buchenwald. Am 11. April 1945 wurde er von der US-Armee befreit.

Zeugnis ablegen

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Wiesel zunächst nach Frankreich und studierte in Paris Literatur, Philosophie und Psychologie. Bald begann er zu schreiben und berichtete erst für französische Zeitungen über die Staatsgründung Israels, später war er Frankreich-Korrespondent der israelischen Zeitung Jedi’ot Acharonot. Angeregt vom französischen Literaturnobelpreisträger François Mauriac verarbeitete Wiesel ab den 1950er Jahren seine Erlebnisse während des Holocaust in zahlreichen Büchern – und bewahrte sie so vor dem Vergessen. Am bekanntesten ist wohl sein 1958 erschienener erster autobiografischer Roman "Die Nacht".

1956 ging Wiesel nach New York City und arbeitete als Journalist, ehe er eine Professur an der City University of New York erhielt, später auch an der Boston University. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Bemühungen darum, die Geschehnisse des Holocaust aufzuarbeiten, zu dokumentieren und vor dem Vergessen zu bewahren, schon Zentrum seiner Arbeit. Als Vorsitzender des U.S. Holocaust Memorial Councils war er einer der Hauptinitiatoren der Errichtung des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington. Im Eingangsbereich des Museums sind heute seine Worte zu lesen: "For the dead and the living, we must bear witness."

Wider die Unbelehrbakeit

Wiesel warnte stets vor den Gefahren von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Neonazismus. Als streitbarer Kommentator schaltete er sich auch regelmäßig in politische Debatten ein, 1986 sprach er sich etwa vehement gegen die Kandidatur Kurt Waldheims zur Wahl des österreichischen Bundespräsidenten aus. Im gleichen Jahr erhielt er für sein Engagement gegen Gewalt, Unterdrückung und Rassismus den Friedensnobelpreis.

"Wir müssen immer eine Seite wählen", sagte er damals in seiner Rede vor dem Nobelkomitee. "Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Schweigen ermutigt den Peiniger, niemals den Gepeinigten". Die Welt habe nichts gelernt, resümierte er knapp 20 Jahre später in einem Interview mit Nobelprize.org. "Hätte uns 1945 jemand gesagt, welche Kämpfe wir in Zukunft erneut austragen werden müssen – wir hätten es nicht für möglich gehalten."

Wiesel hörte nicht auf zu kämpfen. Unmittelbar nach der Nobelpreisverleihung gründete er mit dem Preisgeld die Elie Wiesel Foundation for Humanity, um vor allem Jugendliche über den Holocaust aufzuklären und für Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu sensibilisieren. Im Jahr darauf sagte er als Zeuge im Prozess gegen den SS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie in Lyon aus und berichtete vor Gericht von seinen Erlebnissen in Auschwitz.

Neue Zeugen

Im Jahr 2003 übernahm Wiesel auf Einladung des damaligen rumänischen Präsidenten Ion Iliescu die Leitung einer Kommission zur Erforschung des Holocaust in Rumänien. Die Regierung erkannte den Abschlussbericht der Kommission 2004 an und räumte erstmals ein, dass sich Rumänien vorsätzlich am Holocaust beteiligt hatte. Dem Kommissionsbericht zufolge wurden mithilfe der rumänischen Militär- und Zivilbehörden 300.000 Juden und mindestens 11.000 Roma ermordet.

Im Jahr 2007 schlug der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert vor, Elie Wiesel als Kandidaten für das israelische Präsidentschaftsamt zu nominieren – dieser lehnte jedoch ab (wie übrigens genau 55 Jahre zuvor schon ein anderer prominenter Wunschkandidat: Albert Einstein). Stattdessen wurde Shimon Peres in das Amt gewählt – und verlieh seinem beinahe-Kontrahenten die höchste zivile Medaille des Landes.

Hätte die Welt ihre Lektion gelernt, hätte es kein Kambodscha gegeben, kein Ruanda, kein Darfur, kein Bosnien, sagte Wiesel 2009 bei einem Besuch mit dem US-Präsidenten Barack Obama im ehemaligen KZ Buchenwald. Einen Grund, aufzugeben, sah er darin aber keinesfalls. Doch was, wenn kein Überlebender mehr berichten kann? Elie Wiesel wusste die Antwort darauf: "Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden." (David Rennert 2. 7. 2016)