Glaubt an keine rasche Erholung des Tourismus in der Türkei, die heuer extrem unter Terrorattacken leidet. Mit jedem Anschlag gehe die Nachfrage weiter zurück: Verkehrsbüro-Vorstand Helga Freund.

Foto: regine hendrich

Schon vor Jahren wurde die Pauschalreise tot gesagt. Trotzdem entscheidet sich noch immer jeder zweite Urlauber für dieses klassische Reisearrangement. Die Reiseströme sortieren sich aber neu, seitdem die Türkei, der Pauschalreisemarkt schlechthin, in den Fokus terroristischer Anschlagsplaner geraten ist. Die für das Reisegeschäft des Verkehrsbüros zuständige Vorstandsdirektorin Helga Freund glaubt nicht, dass sich die Türkei touristisch rasch wieder erholen kann. Zumindest 2017 sei damit nicht zu rechnen. Spanien, Portugal und Bulgarien werden heuer verstärkt angeflogen. Auswirkungen des Brexit auf den Tourismus von und nach Großbritannien seien indes noch schwer abschätzbar.

STANDARD: Wie oft mussten Ihre Reisebüromitarbeiter heuer schon sagen: "Spanien ist gut, aber aus"?

Freund: Bis jetzt noch gar nicht. Es gibt noch jede Menge Flugkapazitäten, die Zimmerauswahl ist freilich nicht mehr so groß.

STANDARD: Heuer sind so viele Österreicher wie schon lange nicht auf der Iberischen Halbinsel unterwegs. Wie stark ist das dem Umstand geschuldet, dass viele ein mulmiges Gefühl haben, nach den Anschlägen in die Türkei zu reisen?

Freund: Zu einem sehr großen Teil. Reiseströme haben sich verlagert – von der Türkei bzw. Ägypten und teilweise auch Griechenland nach Spanien, Portugal, auch Bulgarien. Dort verzeichnen wir ebenfalls gute Zuwächse, vor allem bei Familien, die günstigere Pauschalen buchen. Auch Selbstfahrerziele wie Kroatien, Italien und Deutschland gehen sehr gut, wie übrigens auch Österreich.

STANDARD: Wie viele der Gäste buchen pauschal, wie viele entscheiden sich für individuelle Lösungen?

Freund: Der Trend geht klar zur personalisierten Reise, Pauschalreisen verlieren. Das hat nicht zuletzt mit den Entwicklungen in der Türkei zu tun, dem wichtigsten Pauschalreisemarkt. Insgesamt machen Pauschalreisen noch 55 Prozent des gesamten Reisesegments aus.

STANDARD: Um wie viel liegt die Türkei bei den Buchungen zurück?

Freund: Gegenüber dem Vorjahr um rund 55 Prozent.

STANDARD: Gibt es etwas, das Touristen Beobachtungen zufolge noch weniger mögen als Staus, schmutzige Strände und schlechtes Wetter. Wissen Sie etwas?

Freund: (überlegt) ...

STANDARD: Andere Touristen!

Freund: (lacht) Man kann das nicht verallgemeinern. Viele suchen auch im Urlaub Anschluss, buchen All-inclusive-Hotels, wo dann 500 Gäste wohnen oder mehr. Die erwarten, dass sie andere Touristen treffen. Aber es stimmt, es gibt auch viele, die dem entfliehen wollen und lieber Individualurlaub machen.

STANDARD: Was ist für ein möglichst ursprüngliches Erlebnis im Urlaub wichtiger: alles haarklein planen oder spontan losziehen?

Freund: Hängt davon ab, jeder ist anders gestrickt. Die meisten wollen es irgendwie doch geplant haben. Die ein, zwei Wochen Urlaub im Jahr sind eine wichtige Zeit, in der man nicht unangenehm überrascht werden will. Wenn ich aufs Geratewohl losziehe, kann es passieren, dass ich in einem Hotel lande, das nicht so gut ist, oder in einer Gegend, die mir gar nicht zusagt. Das macht dann keinen Spaß.

STANDARD: Gibt es die perfekte Reise?

Freund: Ich denke schon ...

STANDARD: ... dass es sie gibt?

Freund: Ja, ich kann die Reise so planen. Wenn ich einen Ansprechpartner im Reisebüro habe, der sich in mich hineinfühlen kann und die Destination kennt, in die es mich zieht, kann er mir die perfekte Reise zusammenstellen.

STANDARD: Wieso spielt Essen im Urlaub eine so große Rolle?

Freund: Essen spielt immer eine wichtige Rolle, egal, wo wir sind. Im Urlaub noch mehr, weil man Zeit hat zu genießen.

STANDARD: Wie gut kennen Sie Ihre Kunden?

Freund: Gut, sehr gut sogar.

STANDARD: Mehr als Namen, Anschrift und E-Mail-Adresse?

Freund: Wir haben eine sehr gute Datenbank, auch ein gutes CRM (Customer Relationship Management, Anm.). Das nutzen wir auch intensiv.

STANDARD: Wie denn?

Freund: Wir wissen zum Beispiel, dass Familie Müller einmal pro Jahr eine Urlaubsreise nach Kuba macht, heuer aber noch nicht gebucht hat. Also ruft das Reisebüro die Familie an und fragt, ob sie eventuell wieder nach Kuba möchten oder etwas anderes suchen, und dann wird gegebenenfalls ein spezielles Angebot zusammengestellt. Wir machen auch Lust auf Urlaub mit unseren Newslettern und können mit den Daten treffsicherer vorgehen.

STANDARD: Die Daten bekommen Sie wie?

Freund: Im Reisebüro, bei der Buchung. Wir fragen die Kunden, ob wir die Daten nützen dürfen – ein Kundenbindungsinstrument.

STANDARD: Welche Folgen hat der Brexit-Beschluss Großbritanniens?

Freund: Mit Eurotours (Incoming-Tochter des Verkehrsbüros; Anm.) machen wir relativ viel Incoming aus Großbritannien nach Österreich. Für diesen Sommer ist der Brexit-Beschluss kein Problem. Alles ist gebucht und abgesichert. Für den Winter muss man sehen, wo sich der Pfundkurs einpendelt und ob sich die Engländer den Auslandsurlaub noch leisten können oder wollen.

STANDARD: Und umgekehrt – Reisen nach England?

Freund: Von britischen Veranstaltern haben wir kurz nach dem Referendum Sonderangebote erhalten. Wir werden nun spezielle Angebote schnüren und schauen, wie sie bei den Kunden ankommen.

STANDARD: Es gibt diesen Sommer noch viele, die nichts gebucht haben und zuwarten?

Freund: Eine Riesennachfrage nach Last-Minute haben wir tatsächlich noch nicht gespürt. Der Österreich-Tourismus hingegen boomt. Da verzeichnen wir ein Plus von elf Prozent. Das zeigt, wie wichtig Sicherheit ist.

STANDARD: Verglichen mit 2015, wo liegen Sie über alle Ziele hinweg?

Freund: Den Einbruch im Türkei-Geschäft haben wir nicht aufholen können, bei Griechenland hoffen wir, dass wir noch einiges an Buchungen bekommen. Bei Ruefa liegt das Minus im mittleren einstelligen Bereich. Bei Eurotours, die hauptsächlich Autoreisen verkaufen, sind wir ungefähr sieben Prozent vorn. So gesehen ist es gut, dass wir im Konzern auf verschiedenen Standbeinen stehen.

STANDARD: Wann erwarten Sie eine Erholung in der Türkei?

Freund: Bis sich das Land touristisch wieder erfangen kann, wird es dauern. Trotz Preisnachlässen um die 40 Prozent gibt es kaum Nachfrage, und die geht mit jedem Anschlag weiter zurück. In Ägypten ist es ähnlich. Ich gehe davon aus, dass wir uns auch 2017 auf Destinationen konzentrieren, die heuer gut laufen. Dazu gehören Fernreisen nach Kuba, Thailand, USA und Mauritius. Und auch bei den Kreuzfahrten ist noch lange kein Ende des Booms in Sicht.

Helga Freund (54) ist seit 2015 Vorstand des Verkehrsbüros (Ruefa Reisen, Austria Trend Hotels, wo sie die Bereiche Freizeittouristik, Geschäftsreisen und IT verantwortet. Die gebürtige Tirolerin ist seit 2012 Mitglied der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft Eurotours, die auch Hofer-Reisen vermarktet. (INTERVIEW: Günther Strobl, 4.7.2016)