STANDARD: Welche Auswirkungen hat das Referendum zum Brexit auf die EU-Politik? Großbritannien war immer ein wichtiger Fürsprecher der Erweiterung.
Hahn: Ich glaube nicht, dass das Ausscheiden Großbritanniens negative Konsequenzen für die Erweiterung haben wird. Die Argumente für eine aktive Erweiterungspolitik sind nach wie vor gültig und relevant: Stabilität in unserer unmittelbaren Nachbarschaft durch Förderung wirtschaftlicher und demokratiepolitischer Reformen zu schaffen. Das ist im ureigensten Interesse der EU. Die konstruktive Kooperation der Westbalkanländer mit der EU in der aktuellen Migrationskrise hat gezeigt, wie wichtig stabile Beziehungen sind. Nicht zu vergessen ist auch, dass den Westbalkanländern am Europäischen Rat in Thessaloniki 2003 explizit eine Beitrittsperspektive zugestanden wurde. Aber es ist natürlich nicht zu leugnen, dass es in den Mitgliedstaaten eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit gibt.
STANDARD: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat kürzlich dem "Demokratie-Export" der EU eine Absage erteilt. Für die demokratischen Kräfte auf dem Balkan bleibt die Unterstützung der EU und der USA aber die einzige Hoffnung. Wird sich die Rolle der EU nun diesbezüglich ändern?
Hahn: Meine Kollegin bezieht sich mit dieser Aussage auf die Nichtbeitrittsländer. Die demokratiepolitische Entwicklung ist nach wie vor eine der wesentlichen Ziele der Erweiterungspolitik. Die rechtsstaatlichen Prinzipien sind als Teil der Kopenhagener Kriterien grundlegende Bedingungen für einen EU-Beitritt. Daran wird und soll sich nichts ändern. Mein Ansatz ist es, wirtschaftliche und politische Kriterien stärker zu verknüpfen. Rechtsstaatlichkeit ist eine der Voraussetzungen für Investitionen. Diesen Zusammenhang gilt es, unseren Partnern in den Beitrittsländern stärker bewusstzumachen.
STANDARD: Sie haben sich im vergangenen Jahr für die Demokratisierung Mazedoniens eingesetzt. Zurzeit boykottiert die Opposition wieder das Parlament. Wie wird es nun weitergehen?
Hahn: Trotz der nicht gerade ermutigenden Entwicklungen bereue ich es nicht, mich für dieses Land engagiert zu haben. Die Pržino-Vereinbarung ist aus unserer Sicht nach wie vor gültig und relevant. Woran es mangelt, ist die Bereitschaft der politischen Chefs, die Interessen des Landes und seiner Bürger anstelle ihrer parteipolitischen Ambitionen in den Vordergrund zu stellen. Ich sehe keinen anderen nachhaltigen Weg aus der Krise als durch die Abhaltung freier, demokratischer Wahlen. Um das zu ermöglichen, ist eine konstruktive Zusammenarbeit aller Parteien nötig, die derzeit leider nicht gegeben ist.
STANDARD: Wie unterstützt die Kommission den Balkan?
Hahn: Beim Wiener Gipfel haben wir die Zuweisung von 200 Millionen Euro für konkrete Projekte im Bereich Verkehr und Energie erreicht. Leider ist die Umsetzung der vereinbarten begleitenden Reformmaßnahmen nicht im erwünschten Ausmaß vorangegangen. Der Gipfel in Paris ist daher eine gute Gelegenheit, die Länder daran zu erinnern, dass EU-Förderungen an konkrete Reformen geknüpft sind. In diesem Jahr stellen wir 96 Millionen Euro für drei zusätzliche gemeinsame prioritäre Investitionsvorhaben zur Verfügung und zusätzlich 50 Millionen Euro für Energieeffizienzmaßnahmen in der gesamten Region. (Adelheid Wölfl, 4.7.2016)