STANDARD: Sie stehen auf Politintrigen-Serien wie "House of Cards" und "Borgen". Was können Sie daraus für Ihren neuen Job lernen?

Klein: Dass man in der Politik auch auf Unerfreuliches gefasst sein muss – bis hin zu Intrigen. In "Borgen" wird etwa ein schwuler Gigolo auf einen Politiker angesetzt, um diesen erpressbar zu machen. Ich neige an sich dazu, an das Gute und Vernünftige im Menschen zu glauben. Auch wenn diese Serien übertreiben, bewahren sie einen vielleicht vor zu viel Naivität.

STANDARD: Ihr Vorgänger Werner Muhm hätte ganz gut in derartige Dramen gepasst, sein Ruf beim politischen Gegner oszillierte zwischen Rasputin und Gottseibeiuns.

Klein: Da muss ich eine Lanze für den Werner Muhm brechen. Er war zwar ein harter Verhandler, hat aber ein tiefes Gefühl dafür, dass Arbeitnehmer und Unternehmer gemeinsam den Wohlstand erwirtschaften.

STANDARD: Dennoch galt er als linker Ideologe. Sind Sie denn einer?

Klein: Vor allem halte ich mich für einen Pragmatiker. Ich wollte schon immer Interessenpolitik für die Schwächeren machen, die haben das nötiger als Konzernkapitäne. Ob das links ist? Darüber denke ich wenig nach, aus einer gefestigten Kaderschulung komme ich nicht.

"Bei der FPÖ sehe ich immer wieder Positionen, die mir nicht gefallen – aber ich sehe nichts, was eine Zusammenarbeit grundsätzlich ausschließt", sagt Christoph Klein von der Arbeiterkammer.
Foto: Urban

STANDARD: Wollen Sie Kanzlerberater sein wie Ihr Vorgänger?

Klein: Ich habe nicht vor, mich zur Beraterfigur aufzuschwingen, und sehe die Arbeiterkammer breiter, und zwar als überparteilichen Thinktank. Wenn mich die Opposition für eine Expertise ins Parlament einlädt, würde ich genauso gerne hingehen wie für eine Koalitionspartei. Überdies kenne ich Christian Kern persönlich noch nicht, freue mich aber, dass jetzt ein Managertyp im Amt ist. Missmanagement ist ja auch in der Regierung vorgekommen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Klein: Eines ärgert mich wirklich: Die Regierung verspricht einen "New Deal", setzt mitunter aber die Old Deals nicht um. Schon beim Arbeitsmarktpaket im Herbst hat sie beschlossen, Start-ups junger Unternehmer über Garantien den Zugang zu Kapital zu erleichtern, doch diese Pläne schlummern seither vor sich hin. 30 Prozent der jungen Firmengründer warten dringend auf Risikokapital, 40 Prozent der geplanten Investitionen im Vorjahr sind nicht erfolgt, weil die Banken Sicherheiten vermissen. Das gleiche Lied mit der berühmten Wohnbaumilliarde: Die ist seit einem Dreivierteljahr beschlossen, doch immer noch wird an der Bank herumgebastelt, die diese Kredite aufstellen soll.

STANDARD: Sollte die SPÖ lieber mit der FPÖ eine Koalition versuchen?

Klein: Als Arbeiterkammerdirektor gebe ich keine Koalitionsempfehlungen ab. Regierungsprogramme beurteilen wir danach, wie sie mit unseren Zielen zusammenpassen. Bei der FPÖ sehe ich immer wieder Positionen, die mir nicht gefallen – aber ich sehe nichts, was eine Zusammenarbeit grundsätzlich ausschließt. Der rot-schwarzen Regierung kann ich, wenn ich mir das anmaßen darf, einen Rat geben: Zeigt eure politischen Kanten, doch findet am Ende vernünftige Kompromisse. Das versuchen wir zumindest in der Sozialpartnerschaft immer wieder – Gott sei Dank oft mit Erfolg.

STANDARD: Glorifizieren Sie da nicht etwas? Die Fronten sind auch zwischen den Sozialpartnern verhärtet, etwa bei den Pensionen.

Klein: Sie haben recht, wir hatten schon größere Sternstunden als das jüngste Pensionspaket. Aber auch darin stecken wichtige Errungenschaften der letzten Jahre wie die Reform der Invaliditätspension – nur haben wir dabei ein Umsetzungsproblem, weil es schwierig ist, ältere Menschen, die bereits aufgegeben haben, wieder in Arbeit zu bringen. Die Sozialpartner haben unlängst auch eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit bei den Metallern vereinbart, und die gemeinsame Lohnpolitik als Fundament der Sozialpartnerschaft funktioniert ohnehin wie gehabt.

STANDARD: Eine andere Streitfrage ist die Mindestsicherung. Können Sie sich mit einer Deckelung, wie sie die ÖVP fordert, anfreunden?

Klein: Nein. Es ist ungerecht, einer Familie mit sechs Kindern die Mindestsicherung auf denselben Betrag zusammenzukürzen wie einer mit zwei Kindern – denn mit der Zahl der Köpfe steigt der Aufwand. Was man sich aber anschauen könnte: ob die Summe aller Leistungen inklusive Familienbeihilfe und anderer Förderungen bei Gesamtbetrachtung mit jedem zusätzlichen Kind im gleichen Ausmaß steigen muss. Vielleicht sind Einschleifregelungen ohne Armutsfalle vorstellbar.

Der neue Arbeiterkammerdirektor Klein sagt zur Mindestsicherung: "Auch für Flüchtlingsfamilien muss klar sein: In unserer Gesellschaft hat man sich durch Arbeit zu erhalten – das gilt auch für Frauen."
Foto: Urban

STANDARD: Kritiker sagen: Bei so hohen Sozialleistungen zahle es sich nicht aus, arbeiten zu gehen.

Klein: Dieses Argument ist Unsinn, denn wer arbeitet und wenig verdient, bezieht ebenso in vielen Fällen einen Teilbetrag der Mindestsicherung zur Aufstockung, um auf die gleiche Summe zu kommen. Entscheidend ist die strenge Kontrolle der Arbeitswilligkeit durch die Behörden. Auch für Flüchtlingsfamilien muss klar sein: Die Mindestsicherung ist die letzte Hilfe. In unserer Gesellschaft hat man sich, wenn man dazu in der Lage ist, eben durch Arbeit zu erhalten – das gilt auch für Frauen. Fatal ist hingegen, Flüchtlingen wie in Oberösterreich einseitig die Mindestsicherung zu kürzen. Sollen diese Menschen obdachlos werden, mit Drogen dealen oder sich prostituieren, um zu überleben?

STANDARD: Plädieren Sie wie Ihr Vorgänger Muhm dafür, den Arbeitsmarktzugang für Menschen aus anderen EU-Ländern einzuschränken?

Klein: Es macht keinen Sinn, an der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu rütteln. Diese ist eine der vier Grundfreiheiten der EU, von der Österreich in vielerlei Hinsicht profitiert. Worauf Muhm aber zu Recht hingewiesen hat: Die Arbeitslosigkeit in Österreich ist auch deshalb höher als in Deutschland, weil die Zuwanderung viel stärker ist. Dieser Druck beruht auch auf unfairen Modellen. Firmen in Bratislava oder Budapest, hinter denen manchmal auch österreichische Unternehmen stehen, entsenden ihre Arbeitnehmer für Aufträge nach Österreich. Oft sind diese Firmen konkurrenzfähiger, weil die Sozialversicherungskosten im Ursprungsland niedriger sind, oft aber auch deshalb, weil sie nicht nach österreichischem Kollektivvertrag zahlen, obwohl sie das müssten.

STANDARD: Was könnte die Regierung dagegen tun?

Klein: Zum Beispiel, die Finanzpolizei von 500 auf 1000 Ermittler aufstocken, um Kontrollen verstärken zu können. Notfalls müssen Zahlungen heimischer Kunden an derartige Firmen gestoppt und Maschinen auf Baustellen beschlagnahmt werden. Das ist eine der ganz großen politischen Fragen. Klassische Hackler wählen, zumindest in Ostösterreich, weniger wegen der Flüchtlingsfrage blau, sondern weil sie erleben, wie dieser Verdrängungswettbewerb Arbeitsplätze und Lohnniveau wegfrisst.

STANDARD: Die Regierung will die Bankensteuer drastisch senken. Kann die Arbeiterkammer da denn mitziehen?

Klein: Ich kann mir das schon vorstellen, aber nur, wenn die Abgabe nicht sang- und klanglos zusammengestrichen wird. Die Banken müssen jedenfalls eine Abschlagszahlung leisten, die dann in die Zukunft Österreichs investiert wird – etwa in die Bildung.

STANDARD: Sie waren nach einem beruflichen Intermezzo in der Sozialversicherung zuletzt nur Vizeabteilungsleiter in der AK. Da gibt es Frauen, die in der Hierarchie höher standen. Warum wurde dennoch wieder ein Mann Direktor?

Klein: Ich hätte es durchaus für begrüßenswert gehalten, wenn eine Frau Direktorin wird. Ich wurde in einem intensiven und vertraulichen Auswahlverfahren bestellt. Haben sich Kandidatinnen beworben? Fragen Sie die Frauen! (Gerald John, 6.7.2016)